Die Hassduelle
Nie zuvor und nie danach hat die Formel 1 eine so intensive Zeit erlebt wie zwischen 1985 und 1991. Mit Alain Prost, Ayrton Senna, Nelson Piquet und Nigel Mansell trafen vier Fahrer aufeinander, die nicht nur auf der Rennstrecke Gegner waren.
Dieses Foto konnte nur Bernie Ecclestone organisieren. Es entstand 1986 vor dem GP Portugal. Gerade noch rechtzeitig, bevor die Animositäten zwischen Alain Prost, Ayrton Senna, Nelson Piquet und Nigel Mansell so groß wurden, dass sich die Vier nicht mehr auf einem Foto hätten ablichten lassen. Zu dem Zeitpunkt konnten noch vier Fahrer Weltmeister der Saison 1986 werden. Sie waren die vier besten Fahrer ihrer Epoche. Sie begann 1985, als Ayrton Senna mit dem Lotus zum ersten Mal ein siegfähiges Auto bekam. Und sie endete 1991, als mit Nelson Piquet der erste aus dem Quartett die Formel 1 verließ.
Piquet und Prost hatten schon früher mit dem Gewinnen begonnen. Sie waren die legitimen Nachfolger der Ära Niki Lauda, Mario Andretti und Alan Jones. Piquet war 1985 bereits zweifacher Weltmeister. Prost hatte den WM-Titel schon drei Mal knapp verfehlt. Während Piquet 1985 mit Brabham und den Pirelli-Reifen aufs falsche Pferd gesetzt hatte, ging der Stern von Senna und Mansell erst auf. Senna feierte 1985 im Lotus-Renault zwei Siege bei Regenrennen. Nigel Mansell musste 72 Rennen lang warten, bis er 1985 endlich ein GP-Sieger war. Und das ausgerechnet bei seinem Heimrennen in Brands Hatch. Mansell schob gleich noch einen Sieg in Südafrika hinterher.
Piquet unterschätzte Mansell
Beim GP Australien 1985 krachte es das erste Mal zwischen Senna und Mansell. Beide gaben sich gegenseitig die Schuld. Es war der Beginn einer langen Feindschaft mit vielen weiteren Kollisionen. Piquet und Senna mochten sich noch nie, und dabei kamen sie sich auf der Rennstrecke nur selten nahe. Hier spielte eher Eifersucht eine Rolle. Piquet war der Platzhirsch. Senna wollte ihn beerben. Der eher PR-faule Piquet beobachtete mit Missgunst, wie Sennas PR-Apparat Unwahrheiten über ihn verbreitete. Der Hass war geboren.
1986 wechselte Piquet zu Williams. Der Brasilianer war damit logischer WM-Favorit, was er auch gleich mit einem überlegenen Sieg beim Saisonauftakt unterstrich. Mansell dagegen legte sich sofort wieder mit Senna an. Und zog wie so oft den Kürzeren. Piquet machte den Fehler, Mansell zu unterschätzen. Die Autos gewannen immer mehr an Abtrieb, was dem bärenstarken Engländer entgegenkam. Piquet hatte im letzten Brabham-Jahr sein Training heruntergefahren und büßte dafür. „Ich hätte das Rennen in Detroit locker gewonnen. Mein Unfall war die Folge eines Konzentrationsfehlers. Ich war einfach nicht fit genug.“
Als Mansell Rennen um Rennen gewann, und Piquet der WM-Titel aus den Fingern zu rinnen schien, verlegte sich der zweifache Weltmeister darauf, Mansell außerhalb des Cockpits zu destabilisieren. Mit Erfolg. Piquets Verbalattacken zeigten Wirkung. Beim Finale in Adelaide war Piquet wieder mit im Titelrennen. Doch weder er noch Mansell hatten am Ende die Nase vorn. Mansell riss ein Reifenplatzer aus dem Rennen, und Piquet musste daraufhin aus Sicherheitsgründen zum Reifenwechsel an die Box. Er hätte mit frischen Reifen Nutznießer Alain Prost fast noch eingeholt. Der McLaren-Pilot gewann mit dem letzten Tropfen Benzin. Piquet war es egal. Hauptsache, Erzfeind Mansell wurde nicht Weltmeister. Er verdiente 3,5 Millionen Dollar bei Williams. Mansell bekam für die gleiche Leistung nur 800.000.
Prost machte sich für Senna stark
Für Senna reichte es nur zu Achtungserfolgen. 1986 war der Renault-Motor zu durstig, 1987 die aktive Aufhängung von Lotus zu defektanfällig. Piquet wurde trotz eines schweren Unfalls in Imola Weltmeister. Mansell siegte oder fiel aus. Piquet kam immer an. „ Die halbe Saison kämpfte ich mit Konzentrationsproblemen. Ich konnte kaum schlafen. Es waren alles Nachwirkungen meines Unfalls von Imola.“ Erst ab dem GP Deutschland war Piquet wieder in Form. Drei Siege in vier Rennen bauten seine WM-Führung so weit aus, dass Mansell nicht mehr kontern konnte. Ein Trainingsunfall in Suzuka setzte den Engländer schachmatt.
Eine kleine Kostprobe, mit welchen Tricks Piquet seinem Widersacher Fallstricke legte. Beim GP Spanien klagte Piquet das gesamte Training, dass sich sein Auto mit aktiver Aufhängung nur schwer abstimmen ließe. Piquet wusste, dass Mansell das aktive Fahrwerk hasste. Doch nach Piquets Sieg in Monza mit dieser Technik an Bord war der Engländer hellhörig geworden. Piquets Klagen bestärkten ihn jedoch darin, weiter mit konventioneller Aufhängung zu fahren. Doch der Teamkollege hatte nur geblufft. Erst in den letzten Trainingsminuten gab Piquet wirklich Gas und stellte sein Auto auf die Pole Position.
Weil ihm Frank Williams keinen Nummer 1-Status garantieren wollte, verabschiedete sich Piquet und nahm bei Lotus den Platz von Senna ein. Es war die schlechteste Entscheidung seiner Karriere. Die nächsten zwei Jahre spielte der nun dreifache Champion keine Rolle mehr. Dafür Senna. Er forderte Alain Prost bei McLaren heraus. Prost war auch noch für den Transfer. „Ron Dennis fragte mich, ob ich lieber Piquet oder Senna haben wollte. Ich war für Senna. Er war der Mann der Zukunft, und ich schätzte ihn vom Charakter weniger politisch als Nelson ein.“ So kann man sich täuschen.
Senna gegen Prost eskaliert
Zwölf Rennen lang hielt der Friede. Dann brachen beim GP Portugal 1988 erste Gräben auf. Senna hatte Prost bei einem Überholversuch gegen die Boxenmauer gedrängt. Prost revanchierte sich drei Rennen später beim GP Japan mit einem ähnlichen Manöver. Der Sieg in Suzuka machte Senna zum ersten Mal zum Weltmeister. Und 1989 ging es im gleichen Stil weiter. Senna fuhr Prost an die Wand. Der klagte, dass Honda seinem Liebling Senna bessere Motoren zuschanze. Schon beim zweiten Saisonrennen in Imola brach der Krieg endgültig aus.
Prost warf Senna vor, eine Abmachung für den Start gebrochen zu haben. Die McLaren-Stars hatten ausgemacht, dass bis zur ersten Kurve ein Nichtangriffspakt herrschen sollte. Der bessere Start entschied über die Vorfahrt. Prost hatte beim zweiten Start nach dem Berger-Unfall den besseren Start. Nichts Böses ahnend bremste ihn Senna vor der Tosa-Kurve aus. Zunächst wollte sich Senna an keine Abmachung erinnern. Dann verteidigte er sich: „Die erste Kurve ist Tamburello. Da lag ich noch hinter Alain.“ Ron Dennis arrangierte eine Entschuldigung, doch Prost war nicht zu bremsen. Er sagte die Pressekonferenz ab und kündigte seinem Teamkollegen die Freundschaft. Zu Saisonmitte verkündete der Franzose seinen Abschied von McLaren. Mit diesem Senna wollte er nicht mehr in einem Team fahren.
In Suzuka eskalierte das Hassduell. Bis zur 47. Runde war es ein ganz normaler Grand Prix, dann parkten da zwei McLaren-Honda in der Auslaufzone der Schikane. Es ging um den WM-Titel. Alain Prost glaubte, ihn in diesem Augenblick quasi im Stand gewonnen zu haben. Die beiden McLaren hatten sich scheinbar unverrückbar ineinander verkeilt. Während Prost siegessicher ausstieg, motivierte Senna durch Winken die Streckenposten dazu, ihn aus seiner misslichen Lage zu befreien. Nach 90 Sekunden war der McLaren mit der Startnummer 1 endlich frei. Senna ließ das Auto rollen, der Motor sprang an, und der vermeintlich bereits Ausgeschiedene kehrte durch den Notausgang ins Renngeschehen zurück. Und gewann den Grand Prix. Damit war das Titelrennen noch offen bis zum Finale in Adelaide.
Prost Weltmeister am grünen Tisch
Doch im Turm der Rennleitung braute sich Unheil über Ayrton Senna zusammen. 30 Minuten nach der Zielflagge kletterte nicht Senna, sondern Alessandro Nannini auf das Siegerpodest. Der Sieger auf der Straße war aufgrund von zwei Tatbeständen disqualifiziert worden. Inanspruchnahme fremder Hilfe und Abkürzen der Rennstrecke. Die Rennleitung erklärte dem Brasilianer, dass er das Rennen dort wieder hätte aufnehmen müssen, wo er die Strecke verlassen hatte. Damit war Alain Prost Weltmeister am grünen Tisch. Und Senna bezichtigte FIA-Präsident Jean-Marie Balestre der Parteinahme für dessen Landsmann Alain Prost. Der Brasilianer musste sich bis zum Beginn der Saison 1990 schriftlich bei Balestre entschuldigen.
So war gleich wieder Feuer in der nächsten Runde Senna gegen Prost. Der Weltmeister von 1989 fuhr jetzt für Ferrari. Wieder kam es in Suzuka zur Vorentscheidung. Diesmal revanchierte sich Senna eiskalt für den vermeintlichen Komplott vom Jahr davor. Der McLaren-Pilot fuhr dem Ferrari nach dem Start einfach ins Auto. Mit Absicht, wie Senna später zugab. Die böse Tat blieb unbestraft. Prost schmollte und feuerte verbale Giftpfeile ab. Senna schoss zurück. Prost hatte mittlerweile bei Ferrari einen Nebenkriegsschauplatz eröffnet. Nigel Mansell wurde vom Prost-Fan zum Prost-Feind. Der Engländer hatte seinen Teamkollegen im Verdacht, ihn politisch im Team kaltzustellen. Der „Löwe“, wie ihn die Italiener nannten, kehrte zu Williams zurück.
Senna verlor seine Feinde
Williams baute zu Beginn der 90er Jahre die besten Autos. Alle wollten dorthin. Mansell war schon da. Der Engländer wusste aber, dass sein Team andere Prioritäten hatte. Die Sponsoren und Motorenpartner Renault wollten Prost, Frank Williams träumte von Senna. Am Ende landete nur Prost bei Williams. Der Franzose hatte die Saison 1992 ausgesetzt und seinen Wechsel zu Williams in aller Ruhe vorbereitet. Senna sperrte er mit einem einzigen Satz aus: „Es wird nie wieder Senna und Prost in einem Team geben, nur noch Senna oder Prost.“ Der dreifache Weltmeister wusste nur zu genau, dass die Sponsoren es Frank Williams nie erlauben würden, Senna statt Prost zu nehmen.
Nigel Mansell manövrierte sich selbst ins Aus. Im Glauben, Prost habe ihn nun auch bei Williams kaltgestellt und das zweite Cockpit sei sowieso für Senna reserviert, verabschiedete sich der Weltmeister von 1992 Richtung Amerika. Nicht ohne über seine Kontrahenten herzuziehen. „Am Tag nach meinem Titelgewinn in Ungarn erfuhr ich, dass ich kein Williams-Fahrer mehr war.“ Blödsinn, wehrte sich Frank Williams. Mansell habe von sich aus die Reißleine gezogen. Bei seinem vermeintlich letzten Formel 1-Rennen in Adelaide 1992 kam es erneut zu einer Kollision mit Senna. Mansell befand, dass es nun Zeit sei zu gehen. Der Täter Senna kam ungeschoren davon.
Alain Prost gewann 1993 wie erwartet den Titel. Auch ein Senna in Hochform konnte gegen den überlegenen Williams-Renault mit einem Mann wie Prost im Cockpit nichts ausrichten. Der nun vierfache Weltmeister erklärte seinen Rücktritt und machte so Platz für Senna bei Williams. Beim Finale in Adelaide merkte Senna, dass ihm 1994 etwas fehlen werde. Prost war sein Feind, aber auch sein Ansporn. Senna gestand dem Gegner auf dem Siegerpodest: „Du wirst mir fehlen.“
Auch Sennas anderen Feinde waren nicht mehr da. Mansell fuhr 1994 eine zweite Saison bei den IndyCars. Er konnte noch nicht wissen, dass er nach Sennas Tod für vier Rennen zu Williams zurückkehren würde. Piquet war trotz zwei guten Jahren bei Benetton raus aus der Formel 1 und nach einem fürchterlichen Unfall im Training zu den 500 Meilen von Indianapolis 1992 auch raus aus dem Geschäft. Altersmilde meinte der dreifache Champion: „Ich habe wenigstens überlebt. Senna hatte nicht so viel Glück.“
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