David Schalkos "Warum ich?": Starschauspieler proben das Hässliche

Wer sich David Schalkos Anthologie-Serie "Warum ich?" in der ARD-Mediathek anschaut, stellt sich bei den sechs Episoden von 20 bis 30 Minuten Länge vielleicht irgendwann die Frage: In welchem dieser Szenarien wäre man am liebsten gefangen? Die Frage ist berechtigt und muss so negativ formuliert werden, denn in keiner der Folgen fühlte man sich wirklich wohl. Das tut man noch nicht mal als Zuschauer. Da ist zum Beispiel der abgehalfterte Country-Schlagerstar Jeff Kanter (Charly Hübner) in der Episode "Cowboys". Im Rahmen seiner Wohnzimmerkonzerte spielt er bei fremden Leuten, die ihn für 1.000 Euro pro Abend buchen. Daheim bei Fan Monika (Andrea Sawatzki) wird's durchaus gruselig. So richtig unangenehm ist auch eine mit dem Zug reisende Personalchefin (Nora Waldstätten), die täglich Menschen entlässt. Hat sich nach einem Verzweiflungstelefonat in der Episode "Regensburg" ein Entlassener ausgerechnet vor ihren Zug geworfen?
Niemand mag den großspurigen Dominik (Thomas Schubert) in der Folge "Freunde". Bis er nach seiner frustigen Geburtstagsfeier ausgerechnet von einem Unbekannten (Merlin Sandmeyer) entführt wird. Eine neue Chance für ihn? In "Lebenskerze" offenbart Hans (Robert Palfrader) seiner empathielosen Familie, dass er Sterbebegleitung in Anspruch nehmen will. In "Mondfenster" fragt sich ein Pubertierender, warum er unter Verschwörungstheoretikern im Wald leben muss und von seinem Vater (Detlev Buck) kurz gehalten wird. Die Episode "Casa Carmen" schließlich versammelt ein großes Ensemble sich streitender und zutiefst unglücklicher Menschen in einem mit eiserner Hand geführten Szene-Restaurant.
Auch in Schalkos neuer Serie steckt Franz Kafka
David Schalko ("Braunschlag"), österreichischer TV-Kreativer mit Faible für bösartige Geschichten, wollte nach seiner doch recht aufwendigen ARD-Serie "Kafka" unbedingt etwas Kleines und Kammerspielartiges machen. In der Tat kommen die meisten seiner "Warum ich?"-Episoden mit einem oder zumindest sehr wenigen Schauplätzen und einem, allerdings sehr prominenten, Mini-Ensemble aus. Lediglich die Episode "Casa Carmen" fällt aus dem Rahmen. Eine Art "The Bear"-Folge für Depressive versammelt ein großes Ensemble als Service-Personal und Gästeschar, um in geradezu atemberaubendem Tempo etliche Beziehungsminiaturen zu verdichten.
"'Die Frage 'Warum ich?' zieht sich als egozentrisches Leitthema durch unsere Gesellschaft", sagt David Schalko über sein neues Projekt. "Denn wer fragt sich nicht ständig: Warum ich? Steckt in dieser Frage nicht vieles von dem, was uns frustriert, was wir als Ungerechtigkeit empfinden, was letztendlich zu jener Empathielosigkeit führt, die für westliche Gesellschaften so typisch geworden ist. Selten fragt einer: Warum wir? Oder gar: Warum nicht?"
Schalko setzt für "Warum ich?" mit teils ins Absurde abdriftenden Dialogen, schwarzhumorigen Wendungen und viel Bösartigkeit Charaktere in Szene, die man im echten Leben lieber nicht treffen mag. Tatsächlich steckt auch in Schalkos neuer Serie eine Menge Franz Kafka - ebenso albtraumhaft waren auch dessen literarische Protagonisten in gefühlskalten Szenarien gefangen. Als Zuschauer muss man schon Spaß am Ultra-Schwarzhumorigen und Hoffnungslosen haben, um diese sechs Episoden "bingen" zu können. Ansonsten sollte man Schalkos böse kleine Welt nur mit Vorsicht oder - besser verdaulich - in kleinen Häppchen genießen.