Udo Jürgens: Sieben Gründe, warum er uns fehlen wird

Fast scheint es, als ginge ein Zeitalter zu Ende: Mit Udo Jürgens ist der wohl letzte Grand Seigneur im deutschsprachigen Musikgeschäft aus dem Leben geschieden. Es gibt einige Gründe, Jürgens nun schmerzlich auf den Bühnen zu vermissen.
Die Zeiten, sie ändern sich: Mit Udo Jürgens (1934-2014) ist eine große Konstante in der deutschsprachigen Musikszene verschieden. Jürgens war ein Künstler von professioneller Würde und zeitlosem musikalischem Anspruch; ein Erzähler und Sänger aus den Zeiten der großen Shows - und ist genau deswegen jemand, der nun sowohl an Allerweltstagen als auch in Gala-Momenten schmerzlich vermisst werden wird. Sieben Gründe, warum Jürgens für die Musiklandschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz so unersetzlich ist. Wir werden Udo Jürgens vermissen, weil...
...er in seiner Kunst stets würdevoll, nie lächerlich wirkte.
Was Udo Jürgens musikalisch tat, hätte man aus der Ferne für Schlager halten können: der deutschen Texte und griffigen Melodien halber. Tatsächlich war Jürgens aber nie in der Gefahr, in die peinlichen Abgründe dieses Genres abzurutschen. Da gab es kein Schunkeln, keine platten Emotionalitäten oder billige Witze. Jürgens formulierte seine Texte sorgfältig. Und trug sie vor mit der Grandezza eines Künstlers, der tatsächlich etwas zu erzählen hat. Jürgens sang auch heitere Songs wie "Vielen Dank für die Blumen" - aber machte sich nie zum Clown. Genau das erfreute die Hörer.
...seine Musik immer eine Relevanz besessen hat.
Was Jürgens in seinen Texte formulierte, besaß häufig eine kritische Dimension: "Griechischer Wein" etwa ist eigentlich ein Lied über Gastarbeiter in Deutschland. In "Gehet hin und vermehret euch" übte sich Jürgens schon in den 1980er-Jahren in Kritik am Papst. In "Moskau - New York" prophezeite er das Ende des Kalten Krieges. Sein waches Auge hat Jürgens nie verloren. Auch auf dem jüngsten Album "Mitten im Leben" gibt es unter der poppigen Hülle ernste Gedanken, zum Beispiel im Song "Der Mann ist das Problem". Sogar zur NSA-Affäre äußerte sich Jürgens noch auf musikalischem Wege.
Udo Jürgens -- Der Mann ist das Problem Video - MyVideo
...er in seinen Liedern Hoffnung und Freiheit beschwört.
Udo Jürgens' Musik kann wirken wie ein Sonnenstrahl an einem grauen Tag: Sie allein rettet natürlich keine Leben - aber sie hilft, die Dinge in einem anderen Licht zu sehen. "Immer, immer wieder geht die Sonne auf", singt der große Entertainer im gleichnamigen Song , "Und wieder bringt ein Tag für uns ein Licht /Ja, immer, immer wieder geht die Sonne auf/ denn Dunkelheit für immer gibt es nicht". Vielleicht eines der schönsten Beispiele für Jürgens einfache, aber auf rätselhafte Weise wirkungsvolle Sanges-Lyrik. Jürgens schätzte das klare Wort - und er und seine Schreiber konnten es geschickt anwenden.
...weil er sich immer dem Publikum verpflichtet fühlte.
Anfang November ist auf Jürgens' letzter Tour ein berührendes Video-Dokument entstanden: Jürgens kommt in Oberhausen nach einer Pause auf die Bühne zurück - und erklärt dem Publikum, welche Ehre es sei, mit 80 Jahren noch in einer solch großen Halle auftreten zu können. Der Youtube-Schnipsel ist Beweis für zweierlei: Zum einen wusste Jürgens nach 60 Bühnenjahren genau, was die Besucher hören wollen. Und er gab es ihnen bereitwillig, mit würdiger Demut und ohne Anbiederung - mit der Geste eines dem Dienste mit Leidenschaft ergebenen Profis. Häufig in drei Stunden währenden Konzerten.
...weil er als Romancier und Kavalier ein galantes Vorbild war.
Udo Jürgens und die Frauen - ja, das ist ein eigenes Kapitel. Klar ist aber, dass Jürgens auf der Showbühne als Gentleman alter Schule glänzte. Beispielhaft sein Umgang mit Helene Fischer (30, "Farbenspiel" ): Wie er bei seiner eigenen Gala im Oktober seiner Duett-Partnerin applaudierte, einen Handkuss verteilte und Fischer elegant die Treppen hinab führte, das hatte Stil - und überhaupt nichts Altherrenhaftes. Kein Wunder, dass es Jürgens wohl zeitlebens nie an Verehrerinnen fehlte.
...weil er Generationen von Hörern begeisterte.
Sechzig lange Jahre als Musiker! Und Udo Jürgens ist nie aus der Zeit gefallen. Er gewann 1966 für Österreich den "Grandprix d'Eurovision" und war ein Held der Backfische. Rund 40 Jahre später erschien sein 40. Studioalbum und kletterte bis in die Top drei der Charts. Oma, Mama und bisweilen auch Tochter gingen da zusammen zu den Konzerten. Als Jürgens vor ein paar Monaten zur Gala rief, folgte auch Deutschlands junge Pop-Garde: Tim Bendzko, die Sportfreunde Stiller... Jürgens' Erfolgsgeheimnis dürfte seine Haltung sein. Er kümmerte sich um Musik, nicht um Trends. Chanson, Pop, Schlager? Es war immer einfach Udo Jürgens - der bis zuletzt den Drang verspürte, für sich und seine Fans zu singen.
...weil seine Hits immer das Zeug zum Evergreen hatten.
"Hits" wird es immer geben. Aber Udo Jürgens' erfolgreichste Lieder erreichten eine andere Dimension an Eingängigkeit: Wenn der Refrain von "Griechischer Wein" erklingt, schmettern Jung und Alt seit 40 Jahren ergriffen mit - und werden es wohl noch in 40 Jahren tun. "Siebzehn Jahr', Blondes Haar", "Merci Chérie", "Mit 66 Jahren". All diese Lieder besitzen Melodien, die weiten Bevölkerungsteilen in die DNA gesickert sind - fast sind es "Volkslieder" - im besten Sinne. Jürgens hat diesen Songs ein Gesicht gegeben. Als einer der letzten großen Hit-Macher wird er beim Radiohören und dem Blick auf die Charts enorm fehlen. Seine alten Lieder und seine Stimme aber bleiben.