Tatort aus Kiel: Ab in den Norden

Tatort Kiel: Kommissar Borowski (Axel Milberg) taumelt zwischen Traum und Wirklichkeit. © NDR/Christine Schroeder
Letzte Woche war es "Taxi Driver", diese Woche die Rungholt-Sage: Wer beim Tatort voll auf der Höhe sein möchte, sollte ein wenig Vorbereitungszeit investieren. Norddeutsche kennen die höchstwahrscheinlich wahre Geschichte der untergegangenen Insel Rungholt, die Kommissar Borowski ein wenig zu schaffen macht. "Borowski und das Land zwischen den Meeren" heißt der neue Fall für den Kieler Ermittler, der hier nach dem Ausstieg von Sarah Brandt erstmals solo arbeitet. Der Name ist dabei Programm: Es geht nicht nur um schleswig-holsteinische Legenden, sondern auch um Landschaften und Eigenheiten der Bewohner.
Auf der fiktiven Nordsee-Insel Suunholt wird Oliver Teuber in seiner Badewanne ertränkt. Wie es denn sein kann, dass "hier, an einem solch friedlichen Ort, so eine Scheiße passiert", fragt sich Borowski (Axel Milberg). Doch der scheinbar so friedliche Ort entpuppt sich als kühle, wunderschöne Kulisse für eine Reihe alptraumhafter Verbrechen, der für Borowski die eine oder andere Überraschung bereithält.
Tatort mit norddeutscher Bond-Girl-Variation
Denn der Name des Opfers ist Borowski sofort ein Begriff: Teuber war in einen Kieler Korruptionsskandal verwickelt, bevor er spurlos verschwand. Auf Suunholt flüchtete er in die Arme der geheimnisvollen Famke Oejen (grandios: Christiane Paul). Oejen wusste angeblich nichts über die Vergangenheit ihres Freundes, zwischen den beiden war es Liebe ohne Fragen nach dem "Woher" und dem "Wohin".
Schnell fühlt sich Borowski von der Femme fatale Famke angezogen, die zu Beginn wie eine Mischung aus norddeutscher Bond-Girl-Variation und Sirene aus dem Meer steigt, ihn mit ihrem Gesang verzaubert und ihn schließlich in ihr Bett lockt. Für Borowski verschwinden die Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit zunehmend, er ist wie in einem Rausch.
Tatort mit einer Hommage an den Norden
Auch als Zuschauer wird man ein Stück weit gefangen genommen von der bezirzenden Christiane Paul (wer hätte gedacht, dass Wollpullis und Regenjacken so sexy sein können?) und der atemberaubenden Landschaft. Borowskis Solo-Trip macht aus der Wildromantik der Nordsee mit kühlen, beeindruckenden Aufnahmen einen surrealen Bilderrausch. Für uns Nordlichter eine Hommage an die Heimat, mitsamt einiger sehr gelungener Karikaturen der Bewohner.
Doch ob alle von "
Borowski und das Land zwischen den
Meeren" so begeistert sein werden? Denn die klassische
Krimi-Handlung muss ein wenig zurückstecken, einen klassischen
Spannungsbogen darf man ebenso wenig erwarten wie eine lückenlose
Logik. Als roter Faden taucht die eingangs erwähnte Rungholt-Sage
immer wieder auf. In Theodor Storms Novelle "Eine Halligfahrt" (die
bekannteste Version der schleswig-holsteinischen Erzählung) machen
Bauern ein Schwein betrunken und nötigen den Pfarrer, ihm die
Sterbesakramente zu verabreichen. Für diese schwere Sünde rächte
sich Gott mit einem verheerenden Sturm, der die Insel im Meer
versinken lässt. Sünde und Verdorbenheit findet Borowski auf der
vermeintlich friedlichen Insel mehr als reichlich, nicht nur bei
Famke Oejen.
Ein sehr sehenswerter
Tatort, der nicht alle Fragen am Ende
beantwortet - doch wo, wenn nicht im Norden, darf ein Krimi ein
wenig sagenhaft sein?
(mit Material von Spot On News)