"Daredevil": Alles andere als ein Blindgänger

Zwei Dinge sind derzeit ungemein gefragt: Aufwendig produzierte Serien und Superhelden. Was läge also näher, die beiden vermeintlichen Erfolgsgaranten miteinander zu kombinieren? Mit "Daredevil" startet Marvel einen vielversprechenden Versuch.
Mit der DC-Figur "The Flash" saust seit einiger Zeit bereits ein Superheld im Serienformat über die heimische Flimmerkiste, nun zieht Konkurrent Marvel mit seiner Show "Daredevil" nicht minder aufwendig nach. Doch statt die Zuschauer auf eine allwöchentliche Geduldsprobe zu stellen, kommen Fans des blinden Teufelskerls in den Genuss, gleich alle 13 Folgen der ersten Staffel auf einen Schlag anschauen zu können. Denn wie der Mega-Erfolg "House of Cards" wird auch "Daredevil" von Netflix vertrieben - und im Hause des Streaming-Anbieters hält man bekanntlich nichts von langen Wartezeiten. Wir konnten bereits im Vorfeld der Veröffentlichung am 10. April einen Blick auf die ersten Folgen der Serie werfen und befinden: Dieser Blinde kann sich sehen lassen.
Matt Murdock ist erst neun Jahre alt, als seine Welt für immer schwarz wird. Doch auch wenn er bei einem schrecklichen Autounfall sein Augenlicht verliert, zum Pflegefall wird der Junge dadurch nicht - ganz im Gegenteil. Denn seine anderen Sinne, allen voran das Gehör, sind nach dem Unglück auf schier übernatürliche Weise geschärft.
Jahre gehen ins Land. Inzwischen hat Murdock gemeinsam mit seinem Freund Foggy Nelson eine Anwaltskanzlei gegründet und ist auf der Suche nach einem ersten Fall. Von seinem geheimen Doppelleben weiß dabei niemand. Denn Murdock ist nur am Tag und in der Nähe von hübschen jungen Damen der vermeintlich hilfsbedürftige Jurist - bei Nacht sorgt er als maskierter Superheld Daredevil ungleich rabiater für Gerechtigkeit.
Die Serie bringt ein zugegebenermaßen nicht sonderlich schwieriges Kunststück fertig: Sie ist bei Weitem besser als die Kinoadaption des gleichnamigen Comics. Denn während der kommende Batman-Darsteller Ben Affleck als "Daredevil" einst von einer filmischen Peinlichkeit zur anderen stakste, liefert "Boardwalk Empire" -Star Charlie Cox sowie der gesamte Cast in der Serien-Ausgabe eine weitaus glaubhaftere Performance ab.
Das liegt nicht zuletzt am Grundton der Show. Denn die Serie ist in etwa so düster wie das Apartment der Hauptfigur - und Blinde schalten eher selten das Licht an. Doch manchem Zuschauer könnte das mitunter zu heftig sein, "Daredevil" kennt im nächtlichen Kampf gegen das Böse keine Kompromisse: Zwar werden Widersacher nicht um die Ecke gebracht, aber mit unzähligen gebrochen Knochen verdammt nah an ihr abgelegt. Visuell erinnert die Marvel-Produktion damit eher an die zuletzt von DC-Helden eingeschlagene Marschroute à la "The Dark Knight" oder auch "Man of Steel" .
Herzstück der Show, das kann man schon nach den ersten Folgen sagen, sind die schlichtweg wunderschön choreografierten Faustkämpfe. So etwa in einer rund dreiminütigen Plansequenz in Folge zwei in einem schmalen Gang - selten sah Serien-Gekloppe derart gut und zeitgleich so ungemein schmerzhaft aus.
Für den "Comic Relief" neben den aufreibenden Schlachten sorgt Murdocks Freund und Partner Foggy. Wirkt das zu Beginn vielleicht noch etwas aufgesetzt, ist das spätestens ab Episode zwei eine willkommene Abwechslung und zusehends glaubwürdiger.
Schön auch zu sehen, dass das Alter Ego "Daredevil" nicht frisch aus dem Ei gepellt mit einem perfekten Outfit wie im Film daher kommt. Statt maßgeschneiderter roter Lederkutte hat der Retter in der Not hier nur eine einfache schwarze Maskierung, um seine Identität zu verbergen. So übernatürlich seine Fähigkeiten auch sein mögen, macht ihn seine wenig heldenhafte Erscheinung umso menschlicher.
Lohnt sich "Daredevil" also? Auf jeden Fall. Die Serie rettet den Ruf des blinden Superhelden, den der Film mit Affleck heldenhaft in den Sand setzte. Natürlich kann noch nicht abgesehen werden, ob der Stoff auch für mehrere Staffeln ergiebig genug ist, die ersten Episoden machen aber auf jeden Fall Lust auf mehr.