Cockpitschutz für IndyCar ab 2020

Die Formel 1 fährt mit Halo, die IndyCar-Serie ab 2020 mit dem Aeroscreen. Die Windschutzscheibe vor dem Cockpit wird von Red Bull entwickelt und soll die Fahrer vor kleinen und großen Trümmerteilen schützen.
Bislang sehen die Monoposto der IndyCar-Rennserie ganz puristisch aus. Das wird sich ab der kommenden Saison ändern. Dann werden die Fahrer die Kurven durch eine Polycarbonat-Scheibe anpeilen, und der Look der IndyCars sich deutlich verändern.
IndyCar spannt sich mit Red Bull zusammen, das für die amerikanische Rennserie einen Cockpitschutz in den kommenden Monaten bis zur Rennreife entwickelt. Die Windschutzscheibe nennt sich „Aeroscreen“ und soll den gleichen strukturellen Belastungen standhalten wie der Halo-Cockpitschutz in der Formel 1. IndyCar spricht von einer erwarteten Tragfähigkeit von 150 Kilonewton.
Anderer Schutz als in Formel 1 notwendig
Die Kooperation zwischen IndyCar und Red Bull verkündeten die beiden Partner am Freitag vor dem Saisonhighlight der Rennserie, dem Indy500. Red Bull hat in der Formel 1 bereits Erfahrung mit einem Cockpitschutz gesammelt. Im Freitagstraining zum Großen Preis von Russland 2016 hatte der Rennstall eine Windschutzscheibe getestet. Man taufte die Lösung „Canopy“.
Der Motorsportweltverband entschied sich allerdings gegen die Red-Bull-Lösung und für den Halo – ein dreiteiliger Titanbügel mit einer zentralen Stelze vor dem Cockpit, der sich über den Fahrerkopf spannt. Mit dem Halo werden vor allem größere Trümmerteile abgewehrt. Wie zum Beispiel Räder. IndyCar will einen weitreichenderen Schutz. „In der Formel 1 gibt es großflächige Auslaufzonen. Bei den IndyCars hingegen nicht. Die Gefahr ist größer, dass mehrere Autos ineinander krachen, und sich Teile lösen. Kleine Splitter oder Reifen. Die Fahrer können einem Trümmerfeld in einem Oval nicht einfach ausweichen. Der Aeroscreen schützt sie dann“, sagt Ed Collings, der Teil der nicht ganz zehnköpfigen Entwicklungstruppe von Red Bull ist. Sein offizieller Titel: Head of Composites and Structures.
Der Aeroscreen hat auf den ersten Blick Ähnlichkeiten mit dem Canopy, unterscheidet sich allerdings in Aufbau und Struktur. Ein zentrales Element stützt die Windschutzscheibe vor dem Cockpit. Sie dockt dort am Chassis an, wo derzeit das AFP-System befestigt ist. AFP steht für Advanced Frontal Protection. Der 7,6 Zentimeter hohe und etwa zwei Zentimeter breite Steg ragt vor dem Cockpit heraus und soll größere Trümmerteile abwehren. Die Autos sind damit seit dieser Saison ausgerüstet.
Aeroscreen mit Überrollbügel verbunden
Der untere Teil des Aeroscreens ist aus Carbon-Verbundteilen geformt. Die obere Struktur besteht aus Titan. Der Ring zieht sich elipsenförmig vom vorderen Rand nach hinten und ist an zwei Seiten mit dem Überrollbügel verbunden. Das ist ein weiterer Unterschied zum Canopy-Cockpitschutz, der am hinteren Cockpit.and endete. Deshalb baut der Aeroscreen in diesem Bereich höher.
Chassishersteller Dallara muss für den Anbau des Aeroscreens die Monocoque-Struktur verstärken und den Überrollbügel verändern. Es wird entweder der bestehende mit neuen Befestigungspunkten für den Cockpitschutz modifiziert oder ein komplett neuer aufgebaut. Welche Maßnahme zielführender ist, wird noch erörtert. Der obere Titankranz wird mit dem Überrollbügel verschraubt und verklebt.
Die Serienbetreiber entschieden sich in dieser Saison für das AFP-System, weil Tests aus dem Vorjahr mit einer Cockpit.cheibe der Firma PPG Aerospace, genannt Windscreen, nicht die gewünschten Ergebnisse brachte. „Für uns Fahrer war es okay mit der Sicht“, sagt der fünfmalige IndyCar-Champion Scott Dixon. „Aber die Kühlung des Cockpit. war verbesserungsbedürftig.“
Jetzt soll Red Bull einen renntauglichen Cockpitschutz liefern. In den nächsten 30 Tagen sollen Prototypen gefertigt werden, um die Sicht nach vorne und zur Seite zu überprüfen und zu verbessern. Danach sollen Strukturtests folgen. Bislang entwickelte Red Bull den Aeroscreen anhand der Erkenntnisse, die man vom Canopy gewonnen hatte. „Da wurde der Kopf des Fahrers durch den Sog immer ein bisschen nach vorne gezogen. Wir haben daran gearbeitet, die Verwirbelungen einzudämmen.“ IndyCar-Chassishersteller Dallara fütterte Red Bull mit einem entsprechenden Modell für die CFD-Simulationen. Für die Kühlung des Cockpit. dürfte ein Schlitz vor dem Aeroscreen sorgen.
Belüftung wie im Straßenauto./strong>
Im Sommer noch sollen die ersten Testfahrten stattfinden. Im Winter sollen alle Teams ihren Aeroscreen erhalten. Der Cockpitschutz wird den Luftwiderstand der Autos zwangsläufig erhöhen und Auswirkungen auf die Aerodynamik haben. Doch darauf kann IndyCar mit den Einheitsautos einfach reagieren mit Anpassungen am Dallara-Kit. „Die Performance der Autos sollte dieselbe sein wie derzeit“, glaubt Red Bull.
Eine wichtige Voraussetzung für den Renneinsatz wird sein, den Cockpitschutz im Fall der Fälle schnell abmontieren zu können. „ Daran arbeiten wir.“ Die Sicht des Fahrers soll durch die Polycarbonatscheibe und den zentralen Steg nicht eingeschränkt werden. „Es sollte ähnlich sein wie mit dem AFP aktuell“, sagt Scott Dixon.
Dass ein zentraler Steg nicht stört, hat der Halo vorgemacht. Viel wichtiger ist allerdings die seitliche Sicht aus dem Cockpit. Eine Scheibe verringert zwangsläufig den Ausschnitt, indem der Fahrer die Strecke sieht. Im Oval wird es vor allem darauf ankommen, dass der obere Teil nicht im Weg steht. Durch den Neigungswinkel der Kurve schauen die Fahrer zwangsläufig nach oben, um den Kurvenverlauf zu verfolgen, und den Ausgang anzupeilen. Ein zu breiter Ring würde sich nachteilig auswirken. Es ist ein bisschen wie im Alltagsverkehr. Auch da schaut man nicht einen Meter vors Auto, sondern fährt mit Weitblick. Und jetzt stellen Sie sich vor, wie sie ihre Augen ausrichten, wenn ihr Auto um 9,2 Grad zur Seite geneigt ist.
Die Scheibe trägt auf der Innenseite eine Anti-Reflex-Beschichtung. Außerdem soll ein Belüftungssystem dafür sorgen, dass sie nicht anläuft. „Es ist ein bisschen wie beim Straßenauto. Das System wird dauerhaft angeschaltet sein“, erklärt Ed Collings von Red Bull. Bei Verschmutzung der Außenseite sollen die Mechaniker bei Boxenstopps einzelne Schichten abreißen können – ähnlich dem Abreißvisier der Helme.