Die Milliardengräber
In den letzten 20 Jahren haben 14 neue Rennstrecken den Weg in den Formel 1-Kalender gefunden. Der Baku City Circuit kam als letzter neuer Schauplatz hinzu. Fünf der Neuzugänge sind schon wieder Geschichte.
Die Revolution frisst ihre Kinder. Weil die gefräßige Krake Formel 1 immer neue Nahrung braucht. Die Inhaber der kommerziellen Rechte setzen auf Wachstumsraten, um ihre Investitonen zu refinanzieren. Um mehr Geld einzuspielen, müssen die Formel 1-Besitzer expandieren. Notfalls in schräge Destinationen wie Korea, Indien, Russland oder Aserbaidschan. Die klassischen Veranstalter können nicht mehr nachlegen. Silverstone ist immer ausverkauft, macht aber trotzdem Verlust.
Wer neu in den Kalender will, muss mindestens 30 Millionen Dollar Antrittsgeld bezahlen. Bernie Ecclestone schwebte einst das Modell Fußball-Weltmeisterschaft oder Olympische Spiele vor: Ein Land oder eine Stadtverwaltung schmückt sich mit einem Grand Prix. Die Zeche dafür zahlt die Regierung. Das funktioniert nur noch in totalitären Staaten. Dort, wo nach Regeln realer Marktwirtschaft abgerechnet wird, lohnt sich das Modell nicht mehr.
Imola und Magny-Cours verschwanden
Der weltweite Expansionskurs der Formel 1 begann 1999 mit Sepang in der Nähe von Kuala Lumpur. Danach haben 13 neue Rennstrecken den Weg in den Kalender gefunden. Die meisten wurden von dem Aachener Architekten Hermann Tilke entworfen. Nur die Hälfte hat einen festen Platz im Kalender gefunden. Der A1-Ring wurde nach dem GP Österreich 2003 aus dem Programm geworfen und kehrte 2014 als Red Bull Ring wieder zurück. Auch Paul Ricard feierte ein Comeback.
Acht Rennstrecken verschwanden ganz von der Bildfläche, darunter alte Bekannte wie Imola und Magny-Cours. Fünf Rennstrecken mussten umbauen, um weiter den Zuschlag zu bekommen. Der Hockenheimring, Silverstone, der Hungaroring und Barcelona veränderten ihr Gesicht. Nicht nur aus Sicherheitsgründen. Die Formel 1-Betreiber wünschten sich mehr Action. Also mussten Überholmöglichkeiten in das Layout eingearbeitet werden.
Fuji verdrängte Suzuka zweimal als Ausrichter des GP Japan. Der Umzug an Japans heiligen Berg war dem Prestigeduell zweier japanischer Automobilkonzerne geschuldet. Suzuka gehört Honda, Fuji ist Toyotas Hausstrecke. Weil Honda einen Grand Prix hatte, wollte Toyota auch einen. Als Toyota Ende 2009 der Formel 1 den Rücken zukehrte, gab es auch keine Rückkehr nach Fuji mehr. Das zweimalige Gastspiel war Toyota die Umbaukosten von 120 Millionen Euro wert. Die Strecke wird immerhin noch anderweitig genutzt. So wie der Indianapolis Road Circuit.
Das letzte Opfer heißt Sepang
Sepang flog 2018 aus dem Kalender. Der GP Malaysia hatte immerhin 19 Jahre lang durchgehalten. Dann wurde der Regierung die Formel 1-Show zu teuer. MotoGP gibt es im Vergleich dazu zum Discountpreis. Auch Valencia, Yeongam, Delhi und Istanbul wuchsen die Antrittsgelder über den Kopf. Sie konnten und wollten die jährlichen Preissteigerungen, festgeschrieben durch den Inflationszuwachs, nicht mehr bezahlen. Nur beim ersten Mal war die Begeisterung im Publikum groß. Dann flachte das Interesse ab.
Valencia begrüßte beim Debüt auf seinem Straßenkurs am Renntag 115.000 Besucher. Vier Jahre später kamen nur noch 52.000. Nach fünf Ausgaben des GP Europa war Schluss. Die Gegner des Rennens rechneten der Bürgermeisterin hohe Verluste vor. Im Jahr 2012 betrug das Defizit zwei Millionen Euro.
Das Otodrom bei Istanbul und der Korean International Circuit in der Provinz Yeongam scheiterten an zwei Umständen. Weder die Türkei noch Korea haben eine Motorsport-Kultur. Nach dem ersten Rennen hatten sich die Zuschauer sattgesehen. Sie wollten kein zweites Mal 300 Euro und mehr in ein Spektakel investieren, das ihnen so fremd ist, wie uns Baseball oder Polo. Außerdem lagen die Strecken zu weitab vom Schuss. Von der Stadtmitte Istanbul bis zum Otodrom waren es 60 Kilometer inklusive eines veritablen Staus auf den Bosporus-Brücken.
Der GP-Kurs von Korea liegt vier Autostunden von Seoul entfernt. Man hätte genauso gut auf dem Mond fahren können. Das Hafenstädtchen Mokpo in der Nähe ist bei Tag eine Plattenbausiedlung und bei Nacht Las Vegas für Arme. Im Fahrerlager wähnte man sich während der Trainingstage bei einem Clubrennen. Die Formel-1-Gemeinde war unter sich. Keine Zuschauer, keine Sponsorgäste, keine Berühmtheiten. Der Besuch am Sonntag war nicht einmal schlecht, doch die Zuschauer hatten die seltsame Angewohnheit, erst in letzter Minute oder gar erst während des Rennens zu erscheinen. Beim Start sah es nach halb leeren Tribünen aus. Bei den Fahrern war der Kurs dagegen beliebt: „Die beste aller neuen Strecken. Sie hatte einen richtigen Fluss“, lobt Nico Hülkenberg.
Vier Mal Korea, drei Mal Indien
Während die Formel 1 in Istanbul immerhin siebenmal gastierte, schaffte es Yeongam nur viermal in Bernies Roadshow. Indien dagegen war das beste Beispiel der Geldverbrennung. 2011 schaffte es das nach China bevölkerungsreichste Land der Erde in den erlauchten Kreis der GP-Strecken. 60 Kilometer außerhalb von Delhi entstand ein Sportkomplex mit angehängter Rennstrecke. 290 Millionen Euro wurden verbuddelt. Indien begann mit einer stolzen Kulisse von 95.000 Zuschauern. Beim dritten Rennen waren es nur noch 61.000 Besucher.
Beim dritten Grand Prix machten Gerüchte über Finanzierungsprobleme die Runde. Außerdem forderte der Staat von den GP-Teams eine Steuer auf ihren Umsatz. Man einigte sich darauf, ein Jahr auszusetzen. 2015 fehlte Indien erneut. Damit war klar, dass der Buddh International Circuit Geschichte sein würde. Ein weiteres Milliardengrab, das die Karawane hinterlassen hat. Das macht vorsichtig. Seit zwei Jahren bastelt das F1-Management an einem zweiten Rennen in den USA. Miami und Las Vegas wollen aber nicht so recht anbeißen. Kopenhagen hat sein Projekt stillgelegt.
Der Marina Bay Circuit von Singapur, Shanghai, Sakhir in Bahrain, der Yas Marina-Komplex in Abu Dhabi und das Sochi Autodrom haben bis heute überlebt. Der Circuit of the Americas naher Austin 2012 löste Indianapolis als Austragungsort des US-Grand Prix ab. Der Baku City Circuit kam neu hinzu und hat jetzt bis 2023 verlängert. Zu einem Rabatt, wie man hört. Genauso wie Singapur. Mittlerweile trauen sich auch die Exoten neu zu verhandeln. Sie wissen ganz genau, dass die Formel 1-Gemeinschaft kaum noch Alternativen hat. Liberty kann nicht mehr so einfach drohen, wie einst Bernie Ecclestone.
Singapur hat sowieso einen guten Stand. Das Nachtrennen in der asiatischen Handelsmetropole ist zu wichtig. In Austin stimmt die Rechnung noch. Weil jeweils über 250.000 Zuschauer an den drei Tagen an die Strecke strömten. Das 350 Millionen Euro teure Projekt stand kurz auf dem Prüfstand, als schlechtes Wetter drei Tage lang die Strecke überschwemmte. Seitdem braucht Austin das Konzert eines Top Acts, um genug Leute an die Strecke zu locken. Das Konzept funktioniert.
Die Politik der amerikanischen Besitzer setzt mehr auf Quantität als Qualität. Wenn man dem einzelnen Veranstalter nicht mehr so viel Geld entlocken kann, müssen es eben mehr sein. In zwei Jahren soll es bis zu 23 Rennen im Jahr geben. Der GP Vietnam 2020 auf einem Stadtkurs von Hanoi ist bereits gesetzt. Kyalami in Südafrika und Buenos Aires denken über ein Comeback nach. Und China will einen zweiten Grand Prix.
auto motor und sport feiert das 1.000. Formel-1-Rennen in dieser Saison mit einer großen Serie in 100 Teilen. Wir liefern Ihnen im täglichen Countdown spannende Geschichte und interessante Video-Features aus der Historie der Königsklasse. Alle bisherigen Artikel finden Sie auf unserer >> Übersichtsseite zum großen Jubiläums-Grand-Prix.