Chrysler Neon

Mit zahlreichen Änderungen und einem günstigen Preis soll der Chrysler Neon im zweiten Anlauf aus dem Schatten seines glücklosen Vorgängers treten.
Es ist bekanntlich ein mühsamer Prozess, bis zusammenwächst, was zusammengehört. Neue Einheiten können eben nur funktionieren, wenn beide Teile ihre Fähigkeiten einbringen und zugleich ihre Eigenständigkeit gewahrt bleibt. Vor dieser Aufgabe steht auch der deutsch-amerikanische Autoriese Daimler-Chrysler, der auf Technologietransfer und Synergieeffekte hofft, ohne Tradition und Image der einzelnen Marken zu beschädigen. Überschneidungen in den Modellpaletten gibt es bereits – bei den Vans, den Geländewagen und in der gehobenen Mittelklasse. Wenn jetzt Chrysler mit dem grundlegend überarbeiteten, insgesamt stattlicheren Neon scheinbar als Konkurrent der C-Klasse antritt, besteht dennoch für Mercedes- Fahrer kein Anlass zur Sorge.
Einen Mercedes in Chrysler- Gestalt nach dem Muster des VW-Konzerns kann es gut ein Jahr nach der transatlantischen Mega-Fusion noch nicht geben, was auch für Chrysler- Käufer sein Gutes hat. Denn während der C 200 mit 52 084 Mark zumindest preislich die Spitzenposition bei den Mittelklasse- Limousinen einnimmt, rangiert das ähnlich große und starke US-Pendant genau am anderen Ende der Skala. Seinen nur halb so hohen Grundpreis von 26 400 Mark können nicht einmal schwächere Korea-Importe unterbieten, allein ein mager ausgestatteter Skoda Octavia mit 75 PS ist noch billiger.
Dass selbst der hier zu Lande nur 1000 mal pro Jahr verkaufte Vorgänger 5000 Mark mehr kostete, zeigt zwar die Radikalität der Neupositionierung, soll aber kein Hinweis auf geringeren Gegenwert sein. Der Neon bietet mehr denn je viel Auto fürs Geld, was der neue schon durch mehr Radstand, Länge und Spurweite gegenüber dem alten unterstreicht. Trotz unverändert zierlicher Gestalt lassen ihn besonders der Höhenzuwachs (plus fünf Zentimeter) und die nun eingerahmten Türscheiben erwachsener dastehen. Allerdings wirken selbst die 15-Zoll-Räder der LE- und LX-Versionen (Basismodell SE: 14 Zoll) verloren in den großen Radhäusern. Außer beim Vorgänger hat der Neon auch Anleihen beim größeren 300M gemacht.
Erhalten blieben das Cab-Forward- Design (Passagierkabine weit vorne) und die keilförmig ansteigende Silhouette mit coupéhafter Dachlinie, während der Kühlergrill mit dem geflügelten Chrysler-Emblem nun mehr Charakter und Markenidentität vermittelt.
Vom allgemeinen Größenwachstum und der um 76 Millimeter nach vorne gerückten Windschutzscheibe profitiert hingegen vor allem das Raumangebot. Es erfüllt nun zumindest den Standard seiner Klasse, mit genügend Bein- und Kopffreiheit vorne wie hinten.
Als Zugeständnis an die Form wird das Raumgefühl aber von der flachen A-Säule und der weit ins Dach hineinragenden Heckscheibe beeinträchtigt, unter der die Fondpassagiere von einer schraffierten Blende nur unzureichend vor Sonnenstrahlen geschützt sitzen. Außerdem lässt die Übersichtlichkeit der Karosserie – trotz hoher Sitzposition – zu wünschen übrig. Das Gestühl selbst bietet wenig Seitenhalt und Sitztiefe, dazu eine schwergängige Höhenverstellung und zu niedrige Kopfstützen. Ebenso wie von den Dreipunkt-Automatikgurten sind davon hinten nur zwei vorhanden, auch ESP, Sideund Kopfbags gibt es vorläufig nicht. Ansonsten ist die Serienausstattung schon beim Basismodell reichhaltig, der getestete LE hat zusätzlich Klimaanlage, Cassettenradio und Lederlenkrad.
Wie beim Vorgänger lässt sich der zerklüftete, kleine Kofferraum (371 Liter) mittels geteilt umklappbarer Rücksitzlehnen vergrößern. Neu ist hingegen das verbesserte Soliditätsgefühl. Das mess- und hörbar reduzierte Geräuschniveau zeugt von einer höheren Karosseriesteifigkeit, und die verwendeten Materialien wirken nun optisch ansprechender, obwohl Passgenauigkeit und Oberflächenanmutung klar hinter der von VW Golf oder Opel Astra zurückstehen. Das gilt nicht weniger für Funktionalität und Federung des Chrysler. Während die Zentralverriegelung (nur von innen) oder das Anlassen des Motors (nur mit voll durchgetretenem Kupplungspedal) noch als amerikanische Marotten durchgehen, verfehlt der Abroll- und Langsamfahrkomfort weiterhin europäische Standards. Bei kurzen Stößen kommen Aufbau und Radaufhängung trotz erkennbarer Fortschritte nie ganz zur Ruhe, erst längere Bodenwellen werden befriedigend absorbiert.
Immerhin geht der verbesserte Komfort nicht zu Lasten der Fahreigenschaften. Die Aufbaubewegungen erfordern zwar häufig kleine Kurskorrekturen mit der zielgenauen, etwas stößigen Lenkung, mindern aber kaum das agile Handling und das sichere, leicht untergegenüber steuernde Kurvenverhalten des Neon. Tückische Lastwechselreaktionen bleiben weitgehend aus, weil sich der Fronttriebler bei Gaswegnahme von selbst stabilisiert. Auch mit voller Zuladung (394 Kilogramm) ändert sich an seiner Gutmütigkeit nichts. Er wird geringfügig unhandlicher und behäbiger, liegt aber zugleich ruhiger auf der Straße und zeigt nur eine dezente Seitenneigung.
Allerdings mangelt es den ABS-unterstützten Bremsen (Scheiben rundum, vorn innenbelüftet) an Standfestigkeit und einem präzise definierten Druckpunkt. Das passt weder zum stattlichen Leergewicht (1226 Kilogramm) noch zum agilen Habitus des Neon. Schließlich warb er stets mit dem Argument, das Temperament eines Zweiliters zum 1,6-Liter-Preis zu bieten, obwohl mancher Interessent eine Alternative nach oben oder unten vermissen mag. Es bleibt also vorläufig beim schon im Vorgänger angebotenen, aber gründlich überarbeiteten und mit einer kürzeren GetriebeÜbersetzung versehenen Vierventil- Vierzylinder.
Mit seinen 133 PS fehlt es ihm nicht an Leistung und spontanem Antritt, aber an Durchzug und Laufkultur. Trotz des geringeren Drehmoments absolvieren die gängigen Vertreter der Kompaktklasse mit nur 115 PS die Elastizitätsmessungen durchweg flotter und zudem leiser und kultivierter. Brumm- und Dröhngeräusche begleiten den Chrysler-Motor über den ganzen Drehzahlbereich, um jenseits von 4000/min nochmals zuzulegen. Besonders lästig wirkt sein Nachschwingen bei Lastwechseln auf Grund der weichen Antriebsaufhängung, was sich vor allem im Stop-and-go-Verkehr als störend erweist. Mit Schaltbarkeit und Übersetzung des Fünfganggetriebes kann man hingegen zufrieden sein, so dass ein Verzicht auf die 1650 Mark teure Automatik mit nur drei Fahrstufen nicht schwer fällt. Auch der Benzinverbrauch (im Testmittel 9,2 Liter Normal pro 100 Kilometer) und die Dreijahres-Garantie stimmen am Ende versöhnlich. Dennoch ist der neue Neon wie der alte keine Lichtgestalt, sondern trotz mancher Fortschritte zumindest hier zu Lande zu einem Schattendasein verurteilt.
Wer eine gut ausgestattete, geräumige und individuelle Mittelklasse-Limousine zum Preis eines Kleinwagens sucht, findet zwar nirgendwo ein besseres Angebot. Aber in fast jeder anderen Disziplin wird der Chrysler – bei Licht betrachtet – von seinen europäischen Konkurrenten überstrahlt.