Freitag "darf auf Medaille schielen"

Freitag "darf auf Medaille schielen"
Richard Freitag springt trotz Tournee-Sturz die beste Saison seines Lebens. In Pyeongchang kann er am Samstag die erste deutsche Einzel-Medaille seit 2002 holen - und seine Sotschi-Rechnung begleichen.
Auf Fragen nach Olympia-Gold reagiert Richard Freitag entspannt wie Buddha. Der Sachse springt die beste Saison seines Lebens, schon am Samstag geht es um Medaillen, doch den Trubel in Pyeongchang nimmt Freitag mit asiatischer Gelassenheit.
"Klar, die Erwartungshaltung ist hoch. Aber ich habe meinen eigenen Geist. Für mich steht anderes im Vordergrund", sagt der 27-Jährige, der die erste deutsche Einzel-Medaille seit Sven Hannawalds Silber-Flügen 2002 holen kann.
Achtmal stand Freitag in diesem Winter auf dem Podest, dreimal gewann er, holte dazu WM-Bronze im Fliegen, ist Zweiter im Gesamtweltcup. Ist eine Medaille da nicht beinahe Pflicht? Freitag, der die Qualifikation am Donnerstag als Vierter souverän meisterte, mag solche Fragen nicht.
"Beim Fußball hat neulich jemand von einem 'Pflichttor' gesprochen", erzählte er vor dem Abflug im "Avia-Talk": "Da habe ich gedacht: Woher will er das wissen? Niemand ist in der Situation des Spielers. Genau so ist es bei mir."
Wiedergutmachung für 2014
Ein Muss ist eine Medaille also nicht. Aber ein Kann, ein großes sogar. Das weiß auch der Bundestrainer, der vor vier Jahren in Sotchi mit ansehen musste, wie sein Hoffnungsträger Severin Freund Bronze um 144 Zentimeter verpasste.
"Richard hat eine gute Form. Wer im Weltcup Zweiter ist, der hat Vertrauen in sich, gute Sprünge auszupacken, wenn es drauf ankommt", sagt Werner Schuster. Sein Fazit: "Es sind für Richie ganz andere Voraussetzungen als vor vier Jahren vor Sotchi."
Bei seiner ersten Olympia-Teilnahme hatte Freitag zwei bittere Wochen erlebt. Im Einzel kam er nicht über die mageren Plätze 20 und 21 hinaus, verlor daher seinen Platz im Team und sah nur als Zuschauer, wie Freund, Andreas Wellinger, Marinus Kraus und Andreas Wank zu Gold segelten.
Damals war Freitag nur die Nummer fünf im Team. Nun ist er dessen Anführer, was zu Saisonbeginn kaum jemand für möglich gehalten hätte.
Freitag mit guter Form trotz Sturz
Doch dann platzte plötzlich der Knoten. Freitag gewann in Nischni-Tagil, Titisee-Neustadt und Engelberg, kämpfte bei der Tournee um den Gesamtsieg, ehe ein Sturz in Innsbruck den Traum beendete. Doch nicht einmal dieser Crash warf ihn aus der Bahn.
"Ich hatte zum Glück den Rückhalt, den man braucht. Familie und Freunde, mit denen man darüber reden kann", sagt Freitag. Der Sachse ist seit jeher ein Familienmensch. Vater Holger, ebenfalls einst Skispringer, und Mutter Diana reisen oft mit, Schwester Selina (16) wohnt mit ihm in Oberstdorf, Bruder Christian ist Geschäftsführer des WSC Oberwiesenthal.
Klappt es diesmal?
In Pyeongchang soll das alles nun aufgehen. Es wäre ein wenig paradox: Ausgerechnet jener Freitag, dessen Karriere spät in die Gänge kam, kann gleich am ersten olympischen Wettkampftag zuschlagen. "Richard darf zurecht auf das Podium schielen. Er hätte es mehr als verdient", sagt Bundestrainer Schuster.
Und Richard Freitag, der sich im Gegensatz zum ganz starken Wellinger am ersten Trainingstag am Mittwoch noch nicht in Medaillenform zeigte? Versucht es mit Ruhe und Gemütlichkeit. "Das Wichtigste für mich wird sein, es zu genießen. Das klingt für Außenstehende vielleicht blöd, aber es ist einfach so", sagt Freitag und wirkt, als wolle er dem Buddha-Tempel Woljeongsa in Pyeongchang einen Besuch abstatten. Dafür wird dann aber wohl doch keine Zeit bleiben.