Sigmar Gabriel befürchtet im ZDF-Moma "neuen Eisernen Vorhang"

Bereits sechs Monate tobt der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Im ZDF-"Morgenmagazin" äußerte sich Sigmar Gabriel, Vorsitzender der Atlantik-Brücke, am Mittwochmorgen zum aktuellen Status Quo: zu möglichem Frieden, der internationalen Betrachtung des Konflikts sowie der drohenden Energiekrise. Gabriel glaubt, der Krieg werde - möglicherweise unterbrochen von Waffenstillständen - noch ziemlich lange andauern. "Ein echter Friede ist, glaube ich, in sehr weiter Entfernung", lautet die ernüchternde Einschätzung des SPD-Politikers. Auch sein Blick in die Zukunft fällt düster aus: "Wir werden einen neuen Eisernen Vorhang bekommen, zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer." Dieser sei in Zeiten von Cyber Security und Fehlkalkulationen "viel gefährlicher als der alte".
Internationalen Beobachtungen zufolge handele es sich aktuell um einen "Abnutzungskrieg", in dem aktuell keine Partei gewinne. Doch die Ukrainer würden den Westeuropäern zeigen, dass wir "nicht in postheroischen Zeiten, sondern in der Ukraine in heroischen Zeiten leben". Deshalb glaube der SPD-Mann auch nicht, dass Russland gewinne. Allerdings hielt es der ehemalige Vize-Kanzler ebenso für schwer vorstellbar, dass die Nuklearmacht Russland wieder aus dem Donbass und von der Krim vertrieben werden könne. Es bliebe nur die Friedens-Hoffnung, dass beide Parteien kriegsmüde werden. "Wir werden ja von den Ukrainern nicht verlangen können, mal eben auf 20 Prozent ihres Territoriums zu verzichten."
Wirtschaftssanktionen sollen bald "auch in Russland bemerkt" werden
Moderatorin Dunja Hayali befragte Gabriel auch nach Sinn und Effekt der Sanktionen gegen Russland. Man müsse an den Sanktionen "auf jeden Fall" festhalten, ob man sie noch ausbauen könne, müsse man sehen. Wenn man nicht komplett untätig bleiben, aber nicht aktiv in den Krieg eingriffen wolle, bliebe nur noch die Option Wirtschaftssanktionen. "Ich glaube schon, dass wenn der Herbst kommt und der Winter kommt, die auch in Russland bemerkt werden."
Bezogen auf den internationalen Blick auf die Geschehnisse in der Ukraine äußerte Sigmar Gabriel eine weitere Sorge: Es gäbe viele Länder, "vor allem im globalen Süden, die den Krieg nicht so beurteilen wie wir". Diese sähen im Konflikt nicht die Aggression Russlands, sondern eher einen Stellvertreterkrieg zwischen "den alten Imperialisten" USA und Russland. Dort würden die Energiepreise explodieren. Auch, weil Deutschland als "sehr reiches Land alles auf dem Energiemarkt aufkauft, was da noch zu haben ist". Dies würde die Länder in die Armut treiben, Nahrungsmittelkrisen seien die Folge.
Man müsse diesen Ländern viel mehr helfen, weil man sonst die Auseinandersetzung um die Frage "Wer ist hier eigentlich schuld" verlieren würde. Es sei nicht die Wahrheit, dass "wir" am Krieg gleich viel Schuld hätten wie Russland, doch diese Sichtweise setze sich nach und nach durch. Gabriel glaube nicht, dass sich erneut 144 Staaten bei einer Abstimmung der Vereinten Nationen gegen den Angriff Russlands positionieren würden.
Kann Europa russisches Gas beschlagnahmen?
Laut Hayali würden immer mehr Menschen fragen, ob der Preis, den Deutschland für diesen Krieg zahle, nicht doch zu hoch sei. Der SPD-Politiker, erklärte, er verstehe, "dass es viele Menschen gibt in Deutschland, die ungeheuer sorgenvoll in die Zukunft blicken". Eine Verdreifachung oder gar Vervierfachung der Energiepreise würde selbst Menschen mit einem durchschnittlichen Einkommen an die Grenzen ihrer Möglichkeiten bringen. "Ich glaube, dass es richtig ist, dass deshalb von der Bundesregierung jede Maßnahme ergriffen wird, die hilft, diese Energiepreisexplosionen zu dämpfen."
Was er denn von Forderungen halte, Nord Stream 2 aufzumachen, wollte Hayali noch wissen. "Nord Stream 2 aufzumachen, wäre im Ergebnis eine schwere Katastrophe für Europa." Die Osteuropäer würden den Deutschen in solch einem Falle vorwerfen, den Ukrainern in den Rücken zu fallen. Gabriel hatte eine andere Idee: Im polnischen Lublin stehe Erdgas "sozusagen in der Röhre" und könne nicht zurück nach Russland. Man könne überlegen, ob die Europäer dieses Erdgas nicht gemeinschaftlich beschlagnahmen und Russland aufgrund des Vertragsbruchs verklagen könnten. Schließlich erfülle Russland seine vertraglichen Verpflichtungen - wie vereinbart Gas durch Nord Stream 1 zu schicken - gegenüber Deutschland aktuell nicht.