Bestseller-Autor Roberto Saviano: "'Gomorrha' hat mein Leben zerstört"

Der größte Star auf dem Münchner Filmfest kam ganz leise und heimlich. Roberto Saviano, von der Mafia gejagter Bestseller-Autor, war da, um die Serienverfilmung seines gleichnamigen Bestsellers "Gomorrha" vorzustellen. Eine Premiere mit allerhöchster Sicherheitsstufe. spot on news traf den Mafia-Jäger unter Polizeischutz zum Gespräch.
Obgleich das Münchner Filmfest in Sachen Staraufgebot nicht mit der Berlinale mithalten kann, weilte gestern ein Star in München, dessen Sicherheitsstufe sogar die von Brad Pitt alt aussehen lässt. Roberto Saviano (34) war auf Einladung von Sky und Beta Film an die Isar gereist, um die TV-Verfilmung seines gleichnamigen Bestsellers "Gomorrha" zu präsentieren. Eine echte Weltpremiere, auf die das Münchner Filmfest zu Recht stolz sein kann. Sowohl die Premieren in Rom wie auch in Cannes hatte er abgesagt: Zu gefährlich! Seit 2006, als er das Enthüllungs-Buch über die Mafia-Methoden in seiner Heimat veröffentlichte, lebt Saviano in ständiger Angst um sein Leben und wechselt alle zwei Tage seinen Aufenthaltsort.
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Entsprechend hoch sind auch die Sicherheitsvorkehrungen bei der Pressekonferenz im Hotel Bayerischer Hof und beim "Gomorrha"-Screening an der Hochschule für Fernsehen und Film. Da waren zwar nur drei, anstatt der in Italien üblichen sieben Personenschützer an seiner Seite, aber die nahmen ihren Job umso ernster. "Das geht nicht anders, auch wenn Deutschland wesentlich sicherer für mich ist als Italien. Hier wird nicht so schnell geschossen, hierzulande beschäftigt sich die Mafia eher mit Geldwäsche als mit Mord und Totschlag", sagte Saviano der Nachrichtenagentur spot on news.
Trotzdem hatte er seine Flugdaten, aus USA kommend, dem Gastgeber erst mitgeteilt, als er dort den Flieger bestieg. "Ich habe meine Freiheit für dieses Buch eingebüßt. Und ich würde gerne sagen, dass es das wert war. Aber das kann ich nicht. Das Buch hat mein Leben zerstört. Ich fühle mich sehr oft einsam und verlassen und ich schäme mich dafür, was ich meiner Familie angetan habe. Denen habe ich nämlich noch viel mehr Freiheit geraubt als mir selbst. Das hatte ich vorher nicht bedacht, da ich viel zu ehrgeizig und zu eitel war. Schreiben würde ich das Buch heute zwar immer noch, weil es wichtig ist, Stellung zu beziehen, aber ich würde es wesentlich vorsichtiger und überlegter schreiben", so Saviano, dem die Hatz ins blasse Gesicht geschrieben steht.
Die Strapazen des Festivalbesuches nahm er trotzdem in Kauf, weil ihm die zwölfteilige Serienverfilmung (ab 10. Oktober auf Sky Atlantic HD) noch mehr am Herzen liegt, als die Oscar-nominierte Kinoverfilmung aus dem Jahr 2008. "Einfach, weil hier noch viel mehr Geschichten stattfinden, die im Kinofilm keinen Platz hatten. Nichts an der Erzählung ist erfunden und nichts wird glorifiziert. Die Charaktere basieren auf existierenden Vorbildern." Und die sind schockierend brutal, wie das Premieren-Publikum, darunter Stephanie Stumph, Oliver Berben und Dennensch Zoudé, befand.
Hauptdarsteller Marco D'Amore und Regisseur Stefano Sollima nahmen das als Kompliment: "Wir sind stolz, dass uns die Gradwanderung zwischen realistischer Gesellschaftskritik und Unterhaltung gelungen ist." Zu Recht! Nicht umsonst hat Hollywoods Produzentenlegende Harvey Weinstein gerade dem Beta-Film-Vorstand Jan Mojito die USA-Rechte abgekauft. Und ließ sich von Mojito und Saviano sogar die Konditionen diktieren. Ein echtes Qualitätssiegel, wie jeder bestätigen kann, der um Weinsteins knallharte Verhandlungsmethoden weiß.
Ob Roberto Saviano bei der USA-Premiere anwesend sein wird, steht nicht fest. Aber die Chancen stehen gut, dass sich sein Leben bald etwas lockert. "Es läuft gerade ein Prozess gegen zwei Mafia-Bosse, die mein Leben massiv bedroht haben. Einer hat der Mafia mittlerweile abgeschworen. Und wenn der andere verurteilt werden sollte, dann ist das ein Signal, das mein Leben erleichtern könnte. Vielleicht kann ich dann irgendwann mal wieder in Ruhe einen Cappuccino auf einer Piazza trinken. Vielleicht nicht gerade in Rom, aber zumindest in München." Wir wünschen es ihm!