Jürgen Klinsmann: Der deutsche US-Sonnyboy im Achtelfinale

Im Jahr 2006 schrieb er als Trainer der DFB-Elf maßgeblich am Drehbuch zum Sommermärchen mit. Anschließend versuchte er sein Glück als Vereins-Coach beim FC Bayern München und scheiterte. Doch in den USA scheint Jürgen Klinsmann als Coach angekommen zu sein - den Einzug ins Achtelfinale hat er seiner Wahlheimat beschert.
Jürgen Klinsmann und seine US-Boys stehen im Achtelfinale der Fußball-Weltmeisterschaft 2014. Die große Erleichterung war ihm nach dem Spiel gegen Deutschland deutlich anzusehen. Er ist einfach ein Sonnyboy wie er im Buche steht. Charmant, freundlich und stets ein Lächeln im Gesicht. Wegen dieser Art ist der 49-Jährige in den USA so beliebt. Die Amis mögen Typen mit positiver Ausstrahlung. Der gelernte Bäcker aus Göppingen hat diese. Seit 16 Jahren lebt der Weltmeister von 1990 nun schon in Kalifornien am Huntington Beach. Gemeinsam mit seiner US-amerikanischen Ehefrau Debbie (43) und den beiden Kindern Jonathan (17) und Laila (13).
Verliebt hat sich Klinsmann in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten als er als Jugendlicher mit den Stuttgarter Kickers, seiner ersten Profistation, einen Trip nach Florida machte. Der junge Schwabe war so begeistert von dem Land, dass er - zurück in Deutschland - sofort ein Rückflugticket in die USA buchte. Nachdem er später in seiner Zeit bei Inter Mailand (1989-1992) seine Frau Debbie kennenlernte, war es für ihn letztlich eine einfache Entscheidung sich in Kalifornien, nahe ihrer Familie, niederzulassen.
Den American Way of Life hat Klinsmann, der mittlerweile auch einen US-Pass besitzt, längst verinnerlicht. Er trägt mit Vorliebe T-Shirts und Sneakers, in seiner Freizeit fliegt er gerne mit dem Helikopter rund um Orange County. Wenn er bei Starbucks einen Kaffee bestellt, gibt er sich stets als "Jonathan" aus - dem Namen seines Sohnes -, schreibt die "New York Times". Auch die oftmals als oberflächlich abgestempelte Freundlichkeit der US-Amerikaner hat der Schwabe mittlerweile zu schätzen gelernt. "Ich mag es, wenn mich jemand danach fragt, wie es mir geht", sagt Klinsmann. "Ich antworte dann immer mit: 'Mir geht es fantastisch'!"
Fantastisch geht es ihm auch beruflich. Vorbei sind die Schmährufe, die ihn nach seiner Trainer-Entlassung beim FC Bayern München (2008/2009), lange verfolgten. Seit 2011 ist er Nationaltrainer des US-Soccer-Teams, das er erfolgreich zur WM nach Brasilien gecoacht hat. Dieser Etappensieg brachte ihm in seiner Wahlheimat viel Wertschätzung ein. Auch wenn er sich kurz vor dem Turnier einen kleinen Schnitzer erlaubte, als er versuchte, die Erwartungen der Nation an seine US-Kicker flach zu halten. Klinsmann sagte, sein Team sei noch nicht so weit, den Titel zu holen.
Sätze wie diesen hören Amerikaner freilich ungern. "Amerikaner sind es gewohnt zu siegen. Klinsmann und seine durchaus realistische Einschätzung wird von vielen verpönt. Das geht gegen die DNA meiner Landsleute", zitiert die Onlineausgabe der "Welt" in diesem Zusammenhang den ehemaligen US-Nationaltorwart Kasey Keller. Doch nach dem gelungenen WM-Start mit einem Sieg gegen Ghana und einem Punkt gegen Portugal, ist dieser kleine Erwartungs-Dämpfer bereits wieder ausgemerzt, denn trotz 0:1-Niederlage gegen Deutschland, steht auch das US-Team im Achtelfinale.
Und auch Klinsmann gibt sich inzwischen kämpferischer in seinen Ansagen. "Amerika ist kein Land, das sich mit dem zweiten Platz zufrieden gibt, Amerikaner wollen vorangehen, Entscheidungen treffen und, wenn es geht, dominant sein", sagt er im Interview mit "Sport Bild". Tim Howard, Torhüter des US-Nationalteams, beschreibt seinen Coach in der "New York Times" als "Europäer mit amerikanischer Sensibilität". Genau dieses Gespür für die US-Kultur und seine Erfahrung als Profi in Europa ermöglichen ihm gute Arbeit in einem Land, in dem Fußball nicht zur Tradition gehört, sondern gerade erst dabei ist, seinen Platz und seine Berechtigung in der öffentlichen Wahrnehmung zu finden.
Doch sein schwerstes Spiel stand "Jurgen", wie ihn die Amis nennen, heute bevor. Am Donnerstagabend musste er mit seinen US-Boys gegen Deutschland antreten. Ein Duell, nicht nur gegen seine Heimat, sondern auch gegen seinen Weggefährten und ehemaligen Co-Trainer Jogi Löw, mit dem er damals bei der Heim-WM 2006 für das vielzitierte Sommermärchen sorgte. "Die Konstellation, bei einer WM auf Deutschland zu treffen, das hätte für mich nicht extremer sein können", erklärte Klinsmann in "Sport Bild", aber er ist sich sicher: "Darunter wird meine Freundschaft zu Joachim Löw niemals leiden."
So amerikanisch wie Klinsmann mittlerweile auch sein mag, er weiß, wo seine Wurzeln liegen. "Vom Grundgedanken bin ich in aller Tiefe Deutscher", gab er dem Sport-Blatt vor dem Spiel zu verstehen. Deshalb werde er beim Match gegen die DFB-Elf beide Hymnen mitsingen. "Auch die amerikanische Hymne ist sehr emotional für mich, das ist Gänsehaut pur."
Kurz vor dem Spiel ließ er nochmal seine neu erworbene amerikanische Mentalität raushängen: Auf Twitter rief er in einer lustigen Aktion alle US-Bürger dazu auf, ihr Team gegen Deutschland zu unterstützen. Deshalb stelle er allen Fußball-Fans ein handgeschriebenes Attest aus, das sie beim Arbeitgeber vorlegen könnten - typisch amerikanisch eben, dieser Jürgen aus Göppingen.