Neues Kohl-Buch: Die Geschichte eines Verrats

Deutschland diskutiert: Darf ein Ghostwriter Passagen aus vertraulichen Gesprächen im Nachhinein veröffentlichen oder nicht? Fakt ist, dass das neueste Buch über Helmut Kohl von seinem Ex-Biografen Heribert Schwan, "Vermächtnis: Die Kohl-Protokolle", ein echter Verkaufsschlager ist.
Deutschland diskutiert die Geschichte eines Verrats: Darf der Journalist und Ghostwriter Heribert Schwan (69) vertrauliche Zitate des Altkanzlers Helmut Kohl (84) in einem Buch veröffentlichen, obwohl Kohl die Zusammenarbeit mit dem Autor aufgekündigt hat? Diese Debatte, aus der mittlerweile ein handfester Streit um journalistische Moral und Ethik entstanden ist, war auch Thema der ARD-Diskussionsrunde bei Günther Jauch.
In diesem MyVideo-Clip spricht der Helmut-Kohl-Sohn Walter über sein eigenes Buch
Es geht um das Buch "Vermächtnis. Die Kohlprotokolle" , dessen Inhalt dem Magazin "Der Spiegel" vergangene Woche eine Titelstory wert war. Darin wurden Aussagen von Helmut Kohl, die er seinem Biografen Heribert Schwan ins Tonband gesprochen hatte, genüsslich zitiert. So soll der Altkanzler vor über zehn Jahren u.a. über Spitzenpolitiker der Union wie Angela Merkel ("wenig vom Charakter heimgesucht" und "kann nicht mit Messer und Gabel essen"), Friedrich Merz ("politisches Kleinkind"), Norbert Blüm ("hinterfotzig" und "Verräter), Rita Süßmuth ("Schreckschraube"), Heiner Geißler ("Narr und Rechthaber") und Christian Wulff ("großer Verräter") gelästert haben.
Heribert Schwan galt als enger Vertrauter Kohls. Er hatte als Ghostwriter eine dreibändige Kohlbiografie verfasst, die 2000 zu einem Bestseller wurde. In den darauf folgenden Jahren besuchte der Journalist den Altkanzler immer wieder in seinem Bungalow in Oggersheim in der Pfalz. Im Keller des Hauses redeten die Männer stundenlang; Schwan nahm die Gespräche mit dem Tonband auf. So wurden 630 Interview-Stunden aufgezeichnet - das Rohmaterial für den geplanten vierten Band der Kohl-Biografie.
Doch kam es zum Zerwürfnis zwischen Schwan und Kohl, der 2009 per Anwalt seinem Ghostwriter kündigte und auf eine Herausgabe der Bänder klagte. Schwan muss dieser Akt sehr getroffen haben. In der Jauch-Runde sagte er: "Ich habe acht Jahre meines Lebens an dieser Sache gearbeitet". Wie "dumm" müsse man sein, einen Mann "mit meinem Herrschaftswissen als Ghostwriter" einfach zu entlassen. War die aktuelle Veröffentlichung der Protokolle ein Racheakt Schwans?
Natürlich habe er von allen Bändern Abschriften und Kopien anfertigen lassen, bevor er sie nach einem Gerichtsbeschluss dem Altkanzler aushändigen musste. Diese Unterlagen (ein Teil der Bänder kam offensichtlich gelöscht zurück zu Kohl) sind der Grundstock des umstrittenen Buches, gegen dessen Veröffentlichung Helmut Kohl bisher erfolglos geklagt hat.
Heribert Schwan (69), ein promovierter Germanist und Politologe, war leitender Redakteur beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) und hatte sich - zusammen mit seinem Kollegen Werner Filmer - einen ausgezeichneten Ruf als Biograf mit Büchern über Richard von Weizsäcker, Johannes Rau, Lothar Späth, Hans-Dietrich Genscher, Norbert Blüm, Oskar Lafontaine, Wolfgang Schäuble und Roman Herzog erworben.
Nach der Beendigung des Vertrauensverhältnisses mit Helmut Kohl erschien 2011 der Schwan-Bestseller "Die Frau an seiner Seite - Leben und Sterben der Hannelore Kohl", ein Buch das ebenfalls großes Aufsehen erregte und gegen das die Kohl-Söhne Peter und Walter geklagt hatten.
Der Co-Autor des neuesten Kohl-Buches ist der Journalist Tilman Jens (60), ein Sohn des bekannter Literaturhistoriker und Schriftstellers Walter Jens (gest. 2013). Auch er hat im Laufe seiner Karriere für einige Schlagzeilen gesorgt. 1984 wurde Jens vom "Stern" entlassen, nachdem bekannt wurde, dass er für eine Reportage über Uwe Johnson unerlaubt in das leer stehende Haus des Dichters eingedrungen war.
1994 beschuldigte Tilmann Jens den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, damals noch ein enger Freund seines Vaters, als Vizekonsul in London für den polnischen Geheimdienst gearbeitet und einige Exil-Polen unter falschen Vorwänden in ihre Heimat gelockt zu haben, wo einige von ihnen zum Todes verurteilt wurden. Für diese Behauptung gab es jedoch keine ernsthaften Belege.
Und 2008 machte Jens die Demenzerkrankung des Vaters publik und löste damit eine große Debatte um die moralische Berechtigung dieser Veröffentlichung aus. Ein Jahr später erschien sein Buch "Demenz. Abschied von meinem Vater." Das neue Kohl-Werk beider Autoren soll in der ersten Erscheinungswoche schon über 100.000 Mal über den Ladentisch gegangen sein. Wie sagt das Sprichwort: Man liebt den Verrat, aber nicht den Verräter.