Schiller: "Im Tourbus fühle ich mich wie in einem Raumschiff"

Christopher von Deylen, der kreative Kopf hinter Schiller, verrät im Interview, was das Leben auf Tour für ihn so reizbar macht. Wie passend, dass er ab jetzt auf großer "Klangwelten Live"-Tournee durch Deutschland ist.
Schiller alias Christopher von Deylen (46, "Future") steht für eine ganz besondere Mischung aus Pop, Ambiente und Elektro. Ab 2. Oktober ist das 1998 gegründete Musikprojekt des deutschen Elektrokünstlers mit einer ausgedehnten Tour in ganz Deutschland und in der Schweiz unterwegs. Im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news sprach der 46-Jährige darüber, warum ein Leben aus zwei Koffern für ihn derzeit einfacher ist als die Annehmlichkeiten eines festen Wohnsitzes. Und warum Musik keine "Messages" verbreiten sollte.
Leben Sie immer noch als Globetrotter ohne festen Wohnsitz aus zwei Koffern?
Christopher von Deylen: Ja. Wobei das Wort 'Globetrotter' den Eindruck erweckt, dass das reiner Selbstzweck wäre. Das ist es aber eigentlich gar nicht. Momentan ist diese Art zu leben sogar schon fast eine Notwendigkeit für mich, weil die Tourvorbereitungen an vielen verschiedenen Plätzen stattfinden. Ein Teil passiert in Berlin, dann gab es eine ausgedehnte Probesession in einem kleinen Ort namens Weil der Stadt und die Generalprobe findet in Werne bei Dortmund statt. Mit einer kurzen Unterbrechung geht die kommende Tour ja bis Ende März 2018, sodass ein fester Wohnsitz da eher hinderlich wäre.
Was schätzen Sie an diesem Lebensstil besonders?
Von Deylen: Die Freiheit. Schlicht und ergreifend die Freiheit. Es ist ein wertvolles Gefühl, wenn man innerhalb von 24 Stunden seinen Lebensmittelpunkt verändern kann. Tatsächlich bin ich jeden Tag sehr dankbar dafür, mir das so einrichten zu können. Klar, man muss schon ein wenig auf die Logistik achten und es gibt immer wieder Dinge zu organisieren, die man bei einem fixen Zuhause eben nicht immer wieder neu bedenken muss. Aber bis jetzt fühlt es sich noch alles sehr ausgewogen an. Außerdem liebe ich das Tourleben. Die gesamte Crew wohnt dann zusammen in einem Nightliner. Das ist ein Reisebus mit kleinen, also wirklich sehr kleinen Schlafkajüten und einer Kaffeemaschine. Damit gleiten wir von Konzert zu Konzert und man fühlt sich ein wenig wie in einem Raumschiff.
Würden Sie sich als Minimalist bezeichnen?
Von Deylen: Das scheint ja derzeit so eine Art Modewort zu sein für das, was man früher mit 'Weniger ist Mehr' oder 'Askese' bezeichnet hat. Tatsächlich brauche ich nicht viele Dinge um mich herum. Das, was man landläufig als 'Besitz' bezeichnet, empfinde ich eher als belastende Einschränkung. Irgendwo habe ich mal den Ausdruck 'Besitz besitzt' gelesen. Das trifft es ganz gut, wie ich finde. Viele Dinge, von denen wir wahlweise ernsthaft denken, dass wir sie zum Leben brauchten, oder von denen uns das bunte Werbefernsehen Glauben machen möchte, dass sie zum Glücklichsein vonnöten seien, helfen in Wahrheit ja gar nicht. Beziehungsweise sie helfen nur dem jeweiligen Hersteller. Unter dem Aspekt würde ich mich dann schon als Minimalist bezeichnen. So sehr die Prämisse 'Viel hilft viel' auch bei vielen Gelegenheiten zutreffen mag, die Version 'Wenig hilft viel' liegt mir scheinbar eher.
Welcher Zustand ist für Sie persönlich der Schlimmere: Stillstand oder in der Vergangenheit zu leben?
Von Deylen: Puh, beides äußerst unangenehm. Emotionale Höchststrafe. Also habe ich im wahrsten Sinne des Wortes gar keine Zeit für Stillstand. Und die Vergangenheit gibt es ja schon, ob sie einem nun passt oder nicht. Die Vergangenheit ein weiteres Mal zu durchleben empfinde ich als unnötig. Die Welt ist wie sie ist, sie dreht sich weiter, und ich ertappe mich nur sehr ungerne dabei, Seufzersätze wie 'Hach, früher war alles besser!' aufzusagen. Erstens war es das nicht, und zweitens ist man mittlerweile ja alt genug, die eigene Mikrozukunft aktiv mitzugestalten. Wer soll es denn machen, wenn nicht wir?
Sind Sie der Meinung, dass Kunst bzw. Musik im Speziellen politisch etwas bewegen kann?
Von Deylen: Nein. Kunst kann sicherlich eine vorhandene Stimmung verstärken oder einen Kommentar zu einer speziellen Situation abgeben. Musik kann womöglich zwar den emotionalen Soundtrack zu einer Bewegung darstellen, aber eben nur darstellen. Kunst und Musik sind immer dann am besten, wenn sie ohne Umschweife direkt ins Herz des Betrachters oder Zuhörers gehen. Jeder Art von Aufladung mit sogenannten 'Inhalten' empfinde ich meistens als aufgesetzt und damit störend. Jeder, der ernsthaft der Auffassung ist, eine bestimmte Message verbreiten zu müssen, kann das glücklicherweise auf vielerlei andere Arten tun, einer Partei beitreten oder am besten gleich eine eigene aufmachen. Aber er möge doch bitte die Kunst als letzte Insel unverbaubarer Emotionen damit in Ruhe lassen.
Zusammen mit Kat Kaufmann sprechen Sie seit März in der Sendung "Kunst.Stoff" über grundsätzliche Fragen zur Kunst. Welche Eigenschaften definieren für Sie einen Künstler?
Von Deylen: Gute Frage. Ich glaube, dass ein Künstler von dem, was er tut, getrieben ist, ja sogar getrieben sein muss. Im besten Sinne ist sein Schaffensdrang unausweichlich. Er kann nicht anders. Ob und wie das dann dem Rest der Menschheit gefällt, darf im Entstehungsprozess keine Rolle spielen. Leicht gesagt, nicht immer leicht zu leben. Ein Künstler spricht durch seine Kunst. Was wir am Ende verstehen, und ob das überhaupt irgendetwas mit dem zu tun hat, was den Erschaffer umtreibt, macht das Ganze ja so spannend und manchmal auch kontrovers. Besonders imponierend finde ich es, wenn Künstler die Frage, warum sie etwas tun und warum es so aussieht wie es aussieht, gar keine Antwort wissen. Sondern einfach sagen: 'Ich habe das so gefühlt.' Mehr braucht es nicht, denn das ist schon eine ganze Menge.