Alice Dwyer: "Ich wirke oft verschlossener, als ich es bin"

Alice Dwyer, Hauptdarstellerin in Michael Verhoevens neuem Film "Let's go!", setzte schon im Alter von neun Jahren durch, auf die Schauspielschule gehen zu dürfen. Woher sie in so jungen Jahren diesen starken Willen nahm und welche Eigenschaften an ihr typisch deutsch sind, verrät die 26-Jährige im Interview.
Trotz ihres jungen Alters ist Alice Dwyer (26, "Baby" ) beinahe ein alter Hase im Filmgeschäft, denn ihre erste Hauptrolle spielte sie bereits im Alter von elf Jahren. Seitdem hat die Tochter eines Deutschen und einer Neuseeländerin über 60 Rollen gespielt und zeigt dabei einen Hang zu schweren Stoffen. Alles andere als leichte Kost ist auch ihr neuer Film "Let's go!" (am 8. Oktober, 20:15 Uhr im Ersten). In Michael Verhoevens Nachkriegsdrama, das auf den Erinnerungen von Laura Waco basiert, spielt Dwyer die Tochter zweier KZ-Überlebender, deren Trauma auch das Leben ihrer Kinder prägt. Wie es ist, einen Menschen darzustellen, den man selbst kennenlernen durfte und warum sie sich so gerne schwierige Rollen aussucht, verrät Alice Dwyer im Interview mit spot on news.
Der Film basiert auf dem autobiografischen Buch "Von Zuhause wird nichts erzählt" von Laura Waco. Hatten Sie die Gelegenheit, mit der Autorin zu sprechen?
Alice Dwyer: Ich konnte sie leider nicht vorher treffen, aber wir hatten das Glück, dass sie uns in der zweiten Drehwoche am Set besucht hat. Das war sehr aufregend. Ich fand es ganz toll, sie kennenzulernen. Ich habe sie dadurch als Mensch viel besser verstanden.
Verändert es etwas am Spiel, wenn man den Menschen, den man darstellt, kennenlernt?
Dwyer: Das verändert einiges. Das Bewusstsein für die Rolle wird ganz anders. Mich macht das auch nervös, weil ich eine große Verantwortung spüre. Klar hat man immer eine Verantwortung gegenüber seiner Figur, aber sobald man das Leben von jemandem portraitiert, der sogar noch am Leben ist, hat man eine immense Verantwortung, der Person gerecht zu werden. Natürlich ist es gleichzeitig etwas ganz Besonderes und Tolles. Ich habe es als Geschenk gesehen. Was mir wirklich ein bisschen Panik bereitet ist, was sie zu dem Film sagen wird. Ich hoffe, sie ist zufrieden mit dem, was wir aus ihrem Leben gemacht haben.
Der Film spielt in den 1950er und 60er Jahren, in denen das Kriegstrauma noch sehr präsent war. Denken Sie, dass Deutschland dieses Trauma heute überwunden hat?
Dwyer: Teilweise ja, einfach weil die Generation, die es erlebt hat, ausstirbt. Umso wichtiger finde ich Filme, die dafür sorgen, dass ein ständiges Bewusstsein für das Thema da ist - auch Filme, die nicht "nur" im KZ spielen, sondern auch die zweite Generation, die durch die erste ebenfalls extrem geschädigt wurde, portraitieren. Es wird ja auch oft gesagt, dass man jetzt nicht schon wieder einen Film über den Zweiten Weltkrieg machen muss. Das finde ich aber komplett falsch. Ich glaube, dass Film ein Medium ist, das vor allem auch jungen Leuten diese Zeit und das Schreckliche daran sehr gut nahebringen kann. Ich finde, das ist für jede neue Generation etwas wahnsinnig Wichtiges.
Deutschland ging ja meist verhältnismäßig offen mit seiner Vergangenheit um, allerdings merkt man manchmal schon einen gewissen Überdruss, wenn es um das Thema geht. Ist das gefährlich?
Dwyer: Das weiß ich nicht. Die Frage ist ja auch, ob es richtig ist, so etwas einzudämmen, das sehe ich nämlich nicht so. Ich verstehe den Überdruss auch nicht ganz. Ich glaube, er kommt vielleicht daher, dass viele Leute sich nicht mehr damit auseinandersetzen wollen, dass man aus einem Land kommt, wo so etwas passiert ist und dass Vorfahren der meisten Menschen so etwas getan haben. Klar, wir wissen es, aber wir haben eigentlich nichts mehr damit zu tun, da wir die zwei Generationen danach sind. Das ist zwar richtig, aber auch sehr einfach gedacht.
Wir Deutsche sind ja im Vergleich zu anderen Nationen ohnehin eher verschlossen. Erkennen Sie das auch bei sich selbst?
Dwyer: Ja, bis zu einem gewissen Grad schon. Obwohl ich ja zur Hälfte Neuseeländerin bin, habe ich trotzdem viele deutsche Eigenschaften. Es gefällt mir aber, wenn ich in anderen Ländern bin und es dort eben komplett anders erlebe. Ich finde es zwar total gesund und richtig, nicht alle Leute sofort mit offenen Armen zu empfangen und ihnen alles zu erzählen. Auf der anderen Seite freue ich mich aber, wenn ich in einem anderen Land Leute treffe, die extrem offen und herzlich und freundlich auf mich zukommen.
Was ist denn an Ihnen typisch deutsch und was ist typisch neuseeländisch?
Dwyer: Typisch neuseeländisch ist, dass ich - hoffentlich - ein höflicher Mensch bin. Darauf hat meine Mutter großen Wert gelegt, und dafür bin ich sehr dankbar. In Deutschland vermisse ich oft eine gewisse Grundhöflichkeit. Obwohl ich das Land Neuseeland sehr liebe, bin ich nicht sehr naturverbunden, das ist wiederum nicht sehr neuseeländisch. Was an mir deutsch ist, ist eine gewisse äußere Härte. Ich glaube, ich wirke oft verschlossener und härter, als ich es eigentlich bin. Die äußere Ausstrahlung ist dann wohl deutsch, und das Innere, das Herz, ist neuseeländisch.
Heimat ist auch ein Randthema im Film. Könnten Sie sich vorstellen, auszuwandern?
Dwyer: Ich bin in Berlin geboren und aufgewachsen und kann mir nicht vorstellen, innerhalb Deutschlands in einer anderen Stadt zu leben. In einem anderen Land zu leben, könnte ich mir schon vorstellen. Auch für eine längere Zeit in Neuseeland zu wohnen, wäre ein Traum von mir.
Sie waren neun Jahre alt, als Sie beschlossen und durchgesetzt haben, zur Schauspielschule zu gehen. Woher kam in dem Alter dieser starke Wille?
Dwyer: Andere Kinder sagen eben, sie wollen Tierarzt werden, nur kann man mit neun Jahren nicht ausprobieren, wie das so ist. Ich habe die Chance bekommen, die Schauspielerei auszuprobieren und habe Blut geleckt. Es hätte genauso gut sein können, dass ich nach meinem ersten Film gesagt hätte: "Das ist nichts für mich." Da ist auf sehr komische Art alles zusammengekommen: Der anfangs sehr naive Wille, dann die Möglichkeit, und dann die Freude am Spielen.
Kam Ihnen als Teenager nie der Gedanke, vielleicht etwas anderes machen zu wollen?
Dwyer: Nein. Es gab eigentlich immer nur den Ehrgeiz, noch mehr und noch besser zu arbeiten. Dieses innere Bedürfnis ist tatsächlich über die Jahre immer nur stetig gestiegen. Ich will diesen Beruf immer noch machen, und zwar gut und im besten Fall erfolgreich - sonst kann man es auch lassen.
Sie scheinen auch einen Hang zu schweren Stoffen und harten Rollen zu haben. Wo liegt darin der Reiz für Sie?
Dwyer: Häufig finde ich einfach das Thema interessant. Klar möchte ich eine schöne Rolle spielen, aber ich will auch eine spannende Geschichte erzählen, und darin stecken meist die spannendsten Figuren. Oft reizen mich auch bestimmte Emotionen und Situationen einer Rolle. Wenn ich spiele, tauche ich in den Menschen ein. Ich arbeite zwar bei Weitem nicht method-mäßig, aber ich spüre schon, was dieser Mensch macht und fühlt. Hinzu kommt, dass mir solche Stoffe einfach sehr oft angeboten werden. Wieso das so ist, weiß ich nicht genau, aber ich bin sehr dankbar, diese Figuren zu spielen.
Eventuell sehen die Filmemacher etwas in Ihnen, was zu den Rollen passt.
Dwyer: Ja, und es ist oft sehr komisch, was die alles in mir sehen. Manchmal kriege ich Bücher und denke: "Jetzt haben die das also gelesen und an mich gedacht." Das ist auch bedenklich. Schön, aber bedenklich.
Steckt denn immer ein bisschen was von Ihnen selbst in Ihren Rollen?
Dwyer: Teilweise. Es kommt auf die Rolle an, aber ich finde es manchmal sehr schön, Teile von mir in eine Rolle zu integrieren. Wenn ich das mache, passiert das aber sehr bewusst. Häufig passiert es auch, dass ich etwas von der Figur übernehme, vor allem während der Zeit, in der ich drehe.
Was zum Beispiel?
Dwyer: Die Stimmung, die Art zu sprechen, manchmal auch den Kleidungsstil. Das kann gefährlich sein. Ich mache das, ohne es bewusst zu merken. Mein Umfeld merkt das dann und lacht mich aus. Aber ich hoffe, dass ich das immer wieder ablege, sobald der Dreh vorbei ist.