Ist das der letzte echte VW?
Wann haben Sie zuletzt über einen VW Touran nachgedacht? Klar, nach ihm dürfte sich kaum jemand umdrehen, doch er als Gebrauchtwagen beweist er Talente, die es so bald nicht mehr geben wird.
Wenn Behörden ein Auto konstruieren müssten, würde das Ergebnis wohl ziemlich genau so aussehen wie der VW Touran der zweiten Generation. Er ist durch und durch vernünftig, eignet sich praktisch zu jedem Einsatzzweck, den man sich auf befestigten Straßen vorstellen kann, und bietet gemessen an seiner Grundfläche das wohl größtmögliche Platzangebot. Dazu besitzt er absolut zuverlässige Technik, lässt sich enorm wirtschaftlich bewegen und verzichtet fast vollständig auf unnütze Verspieltheiten. Das Endergebnis ist umgekehrt so nüchtern wie ein Aktenordner.
Diverse Reparatur-Anleitungen für den VW Touran (ab Baureihe II)
Wohl kaum jemand dürfte aus schierem Enthusiasmus einen Touran fahren. Erschwerend kommt hinzu, dass die Autowelt seit Langem im Wandel ist. Seit Jahren laufen kompakte SUVs den Familienvans den Rang ab, weshalb es im einst so beliebten Kompakt-Van-Segment kaum noch PKW-basierte Konkurrenten gibt. Zur Einführung von Elektro-Versionen müsste im Wagenboden Platz für Akkus geschaffen werden – das wiederum ist mit dem Raumkonzept des Touran nicht realisierbar. Folgerichtig dürfte 2026 Schluss sein. Einen Nachfolger wird es nicht geben, da Tayron und Multivan die Käufer mit gesteigertem Platzbedarf abholen werden. Schon allein das ist ein guter Grund, sich jetzt noch ein frisches Exemplar zu sichern – hier sind noch fünf weitere.
1. Das Raumkonzept
Es ist heiß, die Kinder quengeln, Sie stehen im Stau und das Ziel des Sommerurlaubs ist noch immer Stunden entfernt. Während Sie die zwölfte Folge eines Kinderhörspiels aushalten, können Sie zumindest entspannt in den Rückspiegel blicken und feststellen, dass Sie zumindest keinerlei Platzprobleme haben. Im Ferienort angekommen sehen Sie Familienoberhäupter, die mit besorgter Miene ihren Oberklassekombi durch mediterrane Gässchen bugsieren und mit schwitziger Stirn auf viel zu enge Parkplätze stellen. Für Sie ebenfalls kein Problem.
Im Touran sind Sie mit der Grundfläche eines Kompaktwagens unterwegs (mit gut 4,50 m ein Hauch kürzer als ein Golf 7 Variant) und genießen dabei das Platzangebot von E-Klasse T-Modell oder 5er Touring, nur noch variabler. Weil Kinder sich in den meisten Fällen stark in ihrer Körpergröße unterscheiden, können Sie die drei Einzelsitze der zweiten Sitzreihe individuell verschieben oder eben umklappen. In der Praxis ermöglicht das z.B., zwischen die beiden äußeren Sitzen eine große Kühlbox zu stellen, oder den Sitz eines Kleinkindes, das nicht auf Beinfreiheit angewiesen ist, ganz nach vorn zu rücken. So ist das Kind von vorn leichter zu erreichen und der Kofferraum gewinnt enorm an Größe. Vom Normal-Setup bis zum Transporter-Modus mit ausgebauten Rücksitzen fasst der Touran somit 834 bis 1980 Liter Ladung.
Vorn wird man schnell zum Fan der aufrechten Sitzposition und der großen Scheibenfläche. Dank des luftigen Raumgefühls fühlt man sich rasch wie eine Art Busfahrer, obwohl der Touran in seinem Handling überraschend nah am Plattform-Bruder Golf bleibt. Dessen Handlichkeit wiederum passt wunderbar zur sehr guten Rundumsicht. Weil alles so kantig ist, lässt sich speziell das Wagenheck auch ohne Einparkhilfe millimetergenau in enge Räume zirkeln.
2. Vernünftige Antriebe
Passend zu seinem primären Nutzungszweck entwickelt der Touran bei seinen Insassen schnell eine gewisse Heimeligkeit. Die steigert sich bei Vielfahrern ungemein, wenn unter der kurzen Motorhaube ein TDI sein vertraut-knurriges Selbstzünder-Liedchen vor sich hin grummelt. Die Diesel im Touran sind allesamt angenehm drehmomentstark und machen ihn im Fall der 190-PS-Top-Version auch überraschend schnell. Die schwächeren 1,6- bzw. 2,0-Liter-Versionen reichen jedoch im Normalfall aus, da zum bereits erwähnten Busfahrer-Fahrstil meistens ohnehin eine gewisse Gelassenheit gehört. Und auf die Weise bleibt der VW auch angenehm sparsam. Ohne große Einschränkungen sind Verbräuche um die Fünfliter-Marke problemlos möglich. Der Touran ist stets Vorderradgetrieben und hat fast immer einen Vierzylinder-Motor. "Fast", weil 2019 für ein halbes Jahr lang der dreizylindrige 1.0 TSI das Basismodell darstellte – sehr selten. Bei den Benzinern ist es ohnehin ratsam, nicht auf die Basis zurückzugreifen. Der 1,2-Liter-Vierzylinder mit 110 PS funktioniert in der Stadt zwar recht gut, doch ihm fehlt auf längeren Etappen einfach das Drehmoment, um die recht große Stirnfläche des Vans gegen den Wind zu stellen. Außerdem ist der 1,4- bzw. 1,5-Liter-Motor mit 150 PS im direkten Vergleich so spritzig und elastisch, dass die Lust auf die Basis rasch vergeht. Der ebenfalls seltene Top-Benziner, der 1.8 TSI mit 180 PS wirkt noch etwas energischer, bringt aber dank des niedrigeren Drehzahlniveaus vor allem mehr Ruhe in den Antrieb.
Das Alarmglöckchen, das bei "TSI" laut wird, darf übrigens stumm bleiben. Alle Touran 2 besitzen einen Zahnriemen als Antrieb der Nockenwellen. Dieser besitzt ein Wechselintervall von 210.000 Kilometern. Benziner und Diesel nutzen gleichermaßen einen separaten kurzen Zahnriemen, der im Ölbad laufend die Ölpumpe antreibt. Sein Wechsel ist etwas aufwendiger, bringt aber auf lange Sicht ein ruhiges Gewissen. Wer seinen Diesel bis in alle Ewigkeit fahren möchte, kann hier sogar auf eine Antriebskette aus dem Zubehörmarkt umrüsten.
3. Der "Golf-7-Faktor"
Nicht wenige eingefleischte VW-Fahrer stehen oder standen mit aktuellen Modellen wie dem Golf 8 auf dem Kriegsfuß, weil dieser nach dem bekannt hochwertigen Golf 7 vor allem mit Softwarefehlern und verwirrender Bedienung auffiel. Mit seiner Plattform und dem Bedienkonzept entspricht der Touran 2 jedoch noch dem 2021 eingestellten Golf 7. Somit bietet er wunderbar logisch angeordnete Bedientasten und Drehregler für alle sinnvollen Funktionen. Wirklich sinnvolle moderne Features, wie etwa Smartphonespiegelung, Keyless-Go, adaptive LED-Scheinwerfer oder ein volldigitales Kombiinstrument gibt es trotzdem – obwohl letzteres dank der wunderbaren Ablesbarkeit der Analog-Skalen wahrlich nicht nötig ist. Allein auf ein Head-Up-Display muss verzichtet werden. So bietet er ausstattungstechnisch das Beste aus zwei Welten.
Auch unter dem Blechkleid entspricht die Technik des Touran weitgehend der des Golf 7. Das ist auch gut so, denn der genießt nicht grundlos einen sehr zuverlässigen Ruf. Klar ist aber auch: Wer online nach Problemen sucht, der findet auch unzählige Wehwehchen. Meistens handelt es sich dann aber um Einzelfälle, die sich aufgrund der einst sehr großen Stückzahl hier und da wiederholen. Ernsthafte Krisenherde sucht man meist vergeblich.
4. Das Preis-Leistungs-Verhältnis
Machen wir uns nichts vor, wer über den Kauf eines Touran nachdenkt, tut das in der Regel nicht, weil der kantige Kompakt-Van die Erfüllung emotionaler Autoträume darstellt, sondern weil er so ungeheuer nützlich ist. Also liegt der Blick über den Tellerrand nahe. Wo und zu welchem Preis bekäme man denn vergleichbar viel Auto fürs Geld? Zum Vergleich: Im Netz finden sich über 5.000 Inserate für Touran 2, die in Deutschland zum Verkauf angeboten werden. Unter 200.000 Kilometern liegen die günstigsten vertretbaren Exemplare bei rund 11.000 Euro. Frischeres Material mit Händlergarantie gibt's massenhaft um 20.000 Euro, und knapp darüber lassen sich bereits alle Ausstattungswünsche erfüllen. Auch nach oben gibt es kaum Grenzen, was daran liegt, dass der Touran glücklicherweise nach rund zehn Jahren Bauzeit noch immer als Neuwagen zu haben ist – auch wenn wirklich preisgünstige Angebote hier selten sind.
Mit diesen Eckdaten im Hinterkopf blicken wir mal auf die Konkurrenz. PKW-basierte Konkurrenten wie der Opel Zafira oder der Ford C-Max sind bei uns schon seit langer Zeit ausgestorben, bzw. durch Transporter-Derivate ersetzt worden. Auch aus Asien gibt's nichts Vergleichbares. So bleiben BMW Active Tourer und Mercedes B-Klasse übrig. Beide sind zuverlässige Autos, die jedoch nicht ganz die kubischen Praxisvorteile des Touran bieten können und dabei meist deutlich teurer sind. Gleiches gilt für Kompakt-SUV wie Tiguan und Co., die technisch annähernd identisches bieten, jedoch zu einem wesentlich höheren Preis bei geringerem Raumangebot. Seiner großen Ausstattungsvielfalt verdankt der Touran, dass ihn auch in Sachen Komfortfeatures und Extras keiner wirklich alt aussehen lässt.
5. Hauptauto oder Zweitwagen?
Kurz überlegt, ließe sich der Touran wunderbar in die Klischee-Schublade stecken, in der er als Familien-Zweitwagen glänzt, weil er sich so gut für Fahrten zu Kindergarten oder Baumarkt eignet, während ein potenteres "Hauptauto" zum Abspulen der langen Strecken dient. Doch wer den Touran als Einkaufswagen deklassiert, irrt. Denn gerade sein hoher Nutzwert und der bequeme Ein- und Ausstieg durch riesengroße Türen sind es, die im Alltag zu einem Komfort werden, den teurere Premiumfahrzeuge kaum bieten können.
Und dann kommt noch erschwerend hinzu, dass sich der Touran als Reisewagen nicht hinter den typischen Außendienstlern aus Mittel- und Oberklasse verstecken muss. Weil er zwar höher baut, aber keinen Wert auf Geländetauglichkeit legen muss, fährt er sich satter und dynamischer als viele SUVs. Kurzum: Als Hauptauto macht er eigentlich die deutlich bessere Figur. Die Frage, was dann als Zweitwagen her soll, wenn der Touran mal wieder unterwegs ist, müssen Sie selbst beantworten. Doch wenn kein Einkaufswagen vor der Tür steht, wäre ja ein Platz für etwas Unvernünftigeres frei...