Phaeton gebraucht – gewagt oder für ewig gut?
Im Gebraucht-Tipp stellen wir Ihnen immer wieder vollumfänglich empfehlenswerte Gebrauchtwagen vor. Das gilt für den VW Phaeton nicht immer. Wer jedoch weiß, was er kauft, bekommt was ganz Besonderes. Wie Sie teure Probleme mit der Technik schon bei der Auswahl vermeiden.
Montagnachmittag. Die Redaktion bespricht die kommenden Gebrauchtwagen-Themen. Einer prangert an, dass noch nie der VW Phaeton empfohlen wurde, trotz seiner einzigartigen und überragenden Qualitäten. Der nächste wettert dagegen und meint, dieses Technikfass ohne Boden könne man ja wohl kaum guten Gewissens den Leserinnen und Lesern vorschlagen, schließlich würden die Unterhaltskosten nicht selten den Fahrzeugwert übersteigen. Irgendwie haben beide Recht, auch wenn die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt. Also beleuchten wir heute mal das Wunderwerk, das VW zu seinen qualitativen Hochzeiten zwischen 2002 und 2016, angestoßen durch die Ägide Ferdinand Piëchs, anbot. Es sollte als erstes Modell in der VW-Firmengeschichte den arrivierten Luxuskarossen vom Schlage der Mercedes-S-Klasse, dem BMW 7er oder dem Audi A8 Paroli bieten. Technisch – da waren sich Tester und Käufer einig, gelang dies. Der erhoffte Verkaufserfolg blieb jedoch aus, sodass die Oberklasse-Limousine nach gut 85.000 Stück eingestellt wurde. Hier sind fünf Fakten, die Sie zum Kauf kennen sollten.
1. Warum überhaupt Phaeton?
Phaeton ist der Sohn von Eos. Im VW-Markenprogramm ist das Kokolores, in der griechischen Mythologie jedoch nicht. So schreibt der Dichter Hesiod rund 700 Jahre vor Christus, dass der Sohn des Bergherrschers Kephalos und der Göttin Eos (übrigens Schwester der Sonnengöttin Helios, die es nie auf einen niedersächsischen Autoschriftzug geschafft hat) auf den Namen Phaëton (also mit Trema-E, so wie in Piëch, ergo ausgesprochen: Pha-eton, nicht Phäton und auch nicht Pich) hörte. Und wie Heranwachsende das wohl seit Jahrtausenden tun, war der junge Phaëton allzu eifrig, den elterlichen Sonnenwagen, der zu mystischen Fahrten zwischen Himmel und Erde diente, auf eine Spritztour zu entführen, weil er im Himmelreich einiges zu klären hatte. Das ging schief und endete in einem feurigen Unfall kontinentalen Ausmaßes. Weil das so eine gute Geschichte ist, entschieden sich schon zu Stummfilmzeiten Autohersteller dazu, den Namen für besonders luxuriöse Karossen zu verwenden. Bei VW (zur Erinnerung: Volkswagen) ist die Idee eines Oberklasse-Autos nie dagewesen, weshalb man sich für ebenjenen Namen entschied.
2. Technik vom Feinsten
Auch das Lastenheft zur Entwicklung des Phaeton war monumental. Zur zeitlichen Einordnung: nach Jahrzehnten des zuverlässigen, aber keineswegs innovativen Heckmotor-Spießbürgertums in Wolfsburg kam der Golf 1. Ingenieursmäßig war er ein Meilenstein, in Sachen Rostgefahr aber auch. Mit dem Golf 2 folgte eine blitzsaubere Verarbeitung und eine Langlebigkeit, die gleich für mehrere Autoleben reichte, und in der Herstellung nicht gerade günstig war. Der Golf 3 war qualitativ durchwachsen, weil der Rotstift des frommen Spar-Managers Ignacio López seine Spuren hinterließ. Von 1993 bis 2002 wechselte dann Ferdinand Piëch von Audi zu VW, der für seine technischen Parforceritte und die unbedingte Bevorzugung von Qualität und sauberer Ingenieursarbeit bekannt war. Zeitgleich wurde ein gewisser Martin Winterkorn Leiter der Qualitätssicherung von VW, sodass sich bei VW fortan alles um Spaltmaße (Stichwort "Nullfuge"), rostfreie Karosserien und technisch aufwendige Antriebsideen drehte. Aus dieser Ära entstammen z.B. auch der Golf 4 und der Passat B5, die bis heute besten Ruf unter Langzeitauto-Freunden genießen. Und weil diese Autos so erfolgreich waren, entstand die Idee, einen VW zu bauen, der technisch Maßstäbe setzt, und einfach mal zeigt, was möglich ist. Den Berichten von Insidern zufolge verfasste Winterkorn dazu eine Liste von "zehn Geboten", die die unbedingt hochwertige Qualität der neuen Luxuslimousine sicherstellen sollten. Neben einigen Selbstverständlichkeiten wie der unbedingten Zuverlässigkeit und bestmöglichem Kundenservice fanden sich vor allem kleinere Spleens wie die Freiheit von Antennen oder anderen angesetzten Anbauteilen. Dazu kamen jedoch auch elementare Punkte. Z. B., dass Karosserie und Fahrwerk auf Geschwindigkeiten von über 300 km/h ausgelegt sein sollten, und zwar stundenlang und bei Außentemperaturen von über 50 Grad Celsius. Dabei dürfte nur behilflich sein, dass der Phaeton die bis dato mit Abstand verwindungssteifste Karosserie bekam, die je für einen Pkw verwendet wurde. Außerdem wurde eine völlig zugfrei arbeitende Klimaanlage verlangt. Und das Gesamtpaket sollte in Handarbeit entstehen, aber dennoch klar als Volkswagen erkennbar sein. Uff!
Abgekürzt lautet die Geschichte: Zwei qualitätsbesessene Auto-Bosse wollen ein Auto bauen, das in jeder Hinsicht so gut ist, wie es irgendwie möglich ist – und zwar bis ins Detail. Das gipfelt zum Beispiel darin, dass eigens in Dresden eine Phaeton-Manufaktur entstand (eine gläserne noch dazu), in der nur das Flaggschiff montiert wurde. Oder in Kleinkram, wie die Kennzeichenbeleuchtung der Reinheit der Form zum Opfer fiel und durch sündhaft teure selbstleuchtende Kennzeichen ersetzt wurden. Die haben es trotz enorm teurer Zulassungsverfahren nur an ganz wenige, frühe Exemplare geschafft. Ein anderes Beispiel betrifft die Scharniere des Heckdeckels. Damit letzter weit öffnen kann, ohne viel Raum für Scharniere zu opfern, wandte man sich an die italienische Edel-Rennradschmiede Campagnolo, die kunstvoll filigran wirkende Alu-Mimiken fertigte, die alle Anforderungen erfüllten. Anstelle von simplen Cupholdern verwendete man bewegliche Deckel, die sich nahtlos in die Edelholz-Kulisse des Cockpits einfügten und nur bei Bedarf in eine Halter-Position einrasteten. Die Klarsicht-Abdeckung der Instrumente kennen wir von jedem beliebigen Auto. Im Phaeton (übrigens auch im Touareg) bestehen sie aus Echtglas, das wie eine gute Sonnenbrille bläulich polarisiert ist, damit auch wirklich alles blendfrei abzulesen ist. So entstand ein Auto, das aufgrund einmaliger Hochwertigkeit einen stolzen Preis hatte, mit Features nach denen niemand gefragt hat unter einem Markenlabel, das bislang eher bodenständige Käufer bediente. Wirklich ertragreich war der Phaeton somit nie, doch zeigt er bis heute, was im Automobilbau möglich ist.
3. Das Thema Baukasten
Dass vom Autoschlüssel bis zum Motor viele Teile von VW, Audi, Seat und Skoda unter zahllosen Modellen identisch und austauschbar sind, weiß wohl jeder, der unsere Artikel liest. Wer jedoch in einem Phaeton auf die Jagd nach Gleichteilen mit Golf und Co. geht, kann lang suchen. Fast nichts entspricht dem Mainstream-Regal. Einige Technik-Grundlagen, wie die Sechs- und Achtzylindermotoren wurden im Grundsatz von Audi übernommen, und es gibt einige Geschwister des Phaeton-Technikbaukastens. Die erschienen jedoch praktisch ausnahmslos später. Im VW Touareg zum Beispiel oder dem Bentley Continental griffen die Fahrer ins Phaeton-Lenkrad, blickten auf seine Instrumentensammlung und wählten die Fahrstufe über den charakteristisch T-förmigen Wählhebel, bzw. die massive Alu-Schaltkulisse. Ein zeitgenössischer Lamborghini blinkt mit denselben Hebeln und gewisse Teile der Bodengruppe erlaubten Porsche mit dem Panamera zum ersten Mal ein viertüriges Sportmodell auf die Räder zu stellen. Antriebsseitig fand sich in Form des VR6-Motors aus den bisherigen Topmodellen der Marke die Basis für den Phaeton. Das galt zum einen für die seltene Benzin-Basismotorisierung (ein Dreiliter-Liter-VR6, der bizarrerweise sogar mit Schaltgetriebe und Vorderradantrieb erhältlich war), wie auch für das Sahnehäubchen auf der ganzen Phaeton-Hybris, dem W12. Der Motor besteht praktisch aus zwei VR6-Aggregaten, die auf dieselbe Kurbelwelle wirkten. Aus sechs Litern entstanden 450 PS und 560 Newtonmeter, die der Motor mit einzigartiger Beiläufigkeit produziert. Die Technik diente übrigens als Fundament des abermals größeren W16-Motors im Bugatti Veyron – noch ein VW-Produkt, in dem sich einzelne Gleichteile zum Phaeton finden. Damit auch Dieselfahrer eine angemessene Portion Wahnsinn erhielten, gab es bis 2006 einen V10-TDI, der mit 313 PS und 750 Newtonmetern seinerzeit stärkster Pkw-Diesel der Welt war. Dabei hielten es Piëch und Winterkorn bestimmt für sehr vernünftig, dass man sich zu dessen Konstruktion an einer Dopplung des bestehenden Fünfzylinder-TDI-Motors aus Touareg und VW-Bus bediente. Er durfte sogar den bekannt soliden Stirnrad-Ventiltrieb behalten.
Das alles klingt faszinierend und lässt sich fantastisch beim nächsten Plausch mit dem Nachbarn vorbringen, geht aber gewaltig ins Geld. Denn während ein neuer Anlasser für Passat und Co. in jedem Teilelager zwischen Flensburg und Füssen bereitliegt, können derartige Teiletausch-Reparaturen im Phaeton schon mal eine vierstellige Operation nach sich ziehen.
4. Haltbarkeit und Unterhalt
Damit wären wir (endlich) beim Elefanten im Raum und dem Kern einer jeden Gebrauchtkaufberatung: Schön und gut, dass mich in der Sahara bei Tempo 300 meine Tachoscheibe nicht blendet, aber was, wenn mir schon eine Inspektion die Haare vom Kopf frisst? Nun, ganz gefeit sind Phaeton-Fahrer vor teuren Reparaturen nie, doch wer die extremen Motorisierungen meidet, kann das Risiko wirksam eingrenzen. Der Sechszylinder Benziner ist technisch noch einigermaßen überschaubar und für Schrauber dankbar durch seine Kompaktheit. Er erzeugt aber mehr Klang als Leistung und verschleißt gern mal eine Zylinderkopfdichtung. Zehn- und Zwölfzylinder füllen sogar den mächtigen Phaeton-Bug so aus, dass eine heruntergefallene 10er-Nuss niemals bis zum Boden durchfällt, geschweige denn wiederzufinden ist. Auch belasten die kolossalen Drehmomente das Getriebe und die Lagerung der Kardanwelle stark – beides sind wichtige Wartungspunkte. Die Wandlerautomatikgetriebe sind prinzipiell ewig haltbar, jedoch nur, wenn ihr Schaltschieberkasten ordnungsgemäß funktioniert. Ergo sind Getriebeölwechsel mit Spülung alle 60–80.000 Kilometer lebenswichtig. Das Mittellager der Kardanwelle kann ausschlagen, wodurch die Welle bei gewissen Geschwindigkeiten anfängt zu oszillieren. Das hört sich an, als verberge sich ein startender Hubschrauber in der Mittelarmlehne. Somit bleibt als klare Empfehlung ein Exemplar mit 4,2-Liter-V8-Benziner oder 3.0-V6-Diesel zu wählen. Beides sind erprobt langlebige Audi-Triebwerke, die mit regelmäßiger Wartung kaum Probleme machen und nur alle paar 100.000 Kilometer mal für teurere Operationen in die Werkstatt müssen. Beim V8 muss z.B. alle 120.000 Kilometer der Zahnriemen getauscht werden, und beim Diesel versagen mitunter die Spanner der Steuerkette, was sich durch Rattern beim Kaltstart bemerkbar macht. Der Tausch ist aufwendig, weil die Steuerkette getriebeseitig läuft.
Diese beiden größeren Baustellen sind jedoch preislich noch halbwegs vertretbar, speziell für Leute, die ohnehin bereit sind, für hochkultiviertes Autofahren etwas Geld in Steuer und Spritverbrauch zu investieren. Vor allem geht es um halbwegs planbare Wartungsarbeiten. Und dank dieser Planbarkeit können wir nun die beiden auto-motor-und-sport-Kollegen beschwichtigen, die wie eingangs erwähnt noch immer über Sinn und Unsinn eines gebrauchten Phaeton streiten. Fakt ist, dass es für leicht erhöht vierstellige Beträge (sogar für Exemplare unter 200.000 Kilometer) ein Luxusauto zu kaufen gibt, das in mancher Hinsicht bis heute unerreicht ist. Und mit etwas Know-how und Zugriff auf einen OBD-Scanner lassen sich die kleinen Elektronik-Wehwehchen eines 20 Jahre alten Technikriesen relativ einfach in den Griff bekommen. Dann bliebe als Worst-Case noch ein Defekt der stets serienmäßigen Luftfederung. Doch deren Wartung gehört mittlerweile auch zum Einmaleins versierter Werkstätten. Totalausfälle sind hier selten und der Tausch einzelner Teile bleibt meist relativ verschmerzbar.
5. Der geheimnisvolle Nachfolger
Im Jahr 2022 gewährte Volkswagen erstmals einen Blick auf das, was der große Neustart in der Oberklasse hätte werden können: den nie in Serie gegangenen Nachfolger des VW Phaeton. Intern als Phaeton D2 bezeichnet, war der Prototyp bereits weit entwickelt und basierte technisch auf dem modularen Längsbaukasten (MLB), wie ihn auch Audi für seine Oberklassemodelle nutzt. Das Design war modern und zurückhaltend – eine klare Weiterentwicklung der Phaeton-DNA mit kraftvollen Proportionen, feiner Linienführung und einer markanten Lichtsignatur.
Im Innenraum zeigte der D2, wohin die Reise bei Volkswagen hätte gehen können: ein digitalisiertes Cockpit, edle Materialien und eine konsequent auf Komfort ausgelegte Gestaltung. Alles wirkte hochwertig, durchdacht und auf Augenhöhe mit der etablierten Konkurrenz aus Ingolstadt, Stuttgart oder München. Doch das Projekt wurde gestoppt, bevor es in die Serienproduktion ging. Gründe lagen vor allem in der strategischen Neuausrichtung des Konzerns hin zur Elektromobilität. Der D2 fiel dem Rotstift zum Opfer – zugunsten von Modellen wie dem ID.7 und anderen E-Flaggschiffen. Geblieben ist ein Prototyp – und die Erkenntnis, dass Volkswagen durchaus das Zeug gehabt hätte, in der automobilen Oberklasse wieder mitzumischen.